The Walrus Was Paul

„Paul is dead“ (ZDF, 22.45 Uhr) heißt der herausragende Spielfilm, der die wilde Verschwörungstheorie um Paul McCartneys angebliche Ermordung aus der Sicht einen kleinen Jungen aufrollt. Außerdem kommen darin echte Makramee-Eulen vor

von JENNI ZYLKA

Damals, als die Wände noch mit Makramee-Eulen voll hingen, als Mädchen noch ihre Haare kreppten und selbst aufgenommene Cassetten in drehbaren Plastikklötzen aufbewahrt wurden, da war die Welt noch in Ordnung und alle vier Beatles noch lebendig.

Oder doch nicht alle? Ein paar Tage im Leben des 13-jährigen Beatles-Maniac Tobias, im Sommer 1980 in einem verschlafenen westdeutschen Kaff, bilden das Setting für diesen absolut herausragenden dffb-Abschlussfilm. Der Protagonist Tobias (zum Verlieben: Sebastian Schmidtke) ist während der Sommerferien, die er allein mit seinem älteren Bruder Till (genauso überzeugend: Vasko Scholz) zu Hause verbringt, einer unglaublichen Geschichte auf der Spur: Nachdem er den Original-Käfer vom Abbey-Road-Cover auf der Straße entdeckt hat, tischt ihm der lokale Plattendealer die „Paul ist bereits 1966 ermordet worden“-Theorie auf, die schon seit 1970 durch die Beatles-Fan-Köpfe der Welt geistert. Natürlich ist auch Tobias ein williger Rezipient, und so folgen fünf spannende Tage voller Observationen (der Käfer, dessen britischer (!) Fahrer, aber auch die komischen, ganz neuen Umtriebe seines Bruders, der sich plötzlich mit Mädchen, iiiih, rumtreibt) und Nesquik-Pulver pur auf Brot.

Der Film von Hendrik Handloegten lebt von kollektiven Erinnerungen. Der Regisseur ist 32, war demnach 1980 zarte 12 Jahre alt, und könnte also selbst derjenige gewesen sein, der mit dem Bonanzarad herumsaust und den Alan-Bangs-Beatles-Specials im Radio andächtig wie den Zehn Geboten lauscht. Aber nicht nur Beatles-Fans (also eh fast alle) oder Menschen im richtigen Alter müssten sich über den mit liebevollen Details voll gestopften, stimmig gefilmten und mit lakonischem, fast britischem Humor inszenierten Film ein Loch in den Bauch freuen. Denn es geht nicht allein um das Fan-Sein eines kleinen, schlauen Jungen, nicht allein um eine wehmütige Reise in die Zeit, kurz bevor die 80er ihre hässliche Fratze erhoben, sondern um Veränderungen. Persönliche, die Tobias und sein Bruder am eigenen Leib erfahren (von den Beatles zu The Clash, von der Modelleisenbahn zu den Mädchen), und globale: Mit John Lennons Tod am Ende des Films ist außer derHoffnung auf eine Beatles-Reuniuon auch die sonnen- und fantasiedurchflutete Kindheit gestorben. Natürlich nicht komplett. Aber so wie es vorher war bei Tobias, der mit seinem Bruder und dessen bestem Freund eine Band formierte, der nichts wusste und erst recht nichts verstand von Eifersüchteleien zwischen den beiden größeren Jungs um ein zickiges Mädchen (das mit dem gekreppten Haar), so wird es nie wieder werden.

A propos gekreppt: Zum Schießen komisch hat der Regisseur auch das erste Mal zwischen Till und seiner Freundin inszeniert, die in der fremden Wohnung und mit Patentex Oval ausgerüstet so gar nicht in Stimmung kommen: Sie hüpft mit zusammengekniffenen Beinen vom Bad ins Bett, und sagt, als er sich ihr zuwenden will: „Nee, wir müssen noch zehn Minuten warten, stand auf der Packung“. Darauf er: „Ach so.“ Und wendet sich ab, um die zehn Minuten unbeweglich neben ihr auszuharren.

Oh Gott, war das schrecklich. Aber wahr.

Handloegtens Film ist eine Wucht. Darum hat der Erstling auch schnell Preise eingeheimst: u. a. für den besten Absolventenfilm bei den Babelsberger Medienpreisen 2000. Vor allem aber, weil er trotz des Rückwärtsblicks nicht in alberne Retro-Schwärmereien abdriftet. Sondern real bleibt. Und dann wegen der Filmmusik von diesen vier Jungs, von denen einer letztlich doch noch dran glauben musste.