Die Suche nach dem Goldernter

Als der Schriftsteller Francisco Coloane als junger Mann nach Feuerland reiste, gab es noch Gold in der Bucht von San Sebastián. Walskelette findet man dort heute noch immer, aber den Goldstaub aus ihren Knochen hat das Meer längst ausgewaschen

Sie gruben den Strand um, bis nichts mehr zu holen war. Danach trennten sie sich.

von CORNELIA GERLACH

Ich habe Chile verlassen, das Niemandsland passiert und bin zum Grenzposten der Argentinier gelangt. „San Sebastián“ stempelt der Beamte in den Pass. Das ist Feuerland, dort, wo der gerade Strich in der Landkarte den Atlantik berührt. Der Busschaffner zieht meinen Rucksack hervor und klopft den Staub der Schotterpiste aus dem Gewebe. Dann fährt der Bus weg. Rechts liegen grasbewachsene Hügel, links ist Marschland, platt wie in Nordfriesland, auslaufend in die Bucht von San Sebastián. Ringsum: nur Weite, in der sich die Ansammlung Häuser verliert.

Immerhin, es gibt ein Hotel. Ein solides Haus aus Stein mit Zapfsäule und Vulkanisierwerkstatt, eine Autobahnraststätte ohne Verkehr für Trucker auf dem Weg durch das Grasland. Im Gastraum sitzen ein paar barfüßige junge Männer, trinken Cola und spielen Karten. Ich bekomme ein Zimmer mit einer Fensterfront, die herunterreicht bis zum Boden. Dahinter: Watt. Grauer Himmel über grauem Schlick. Es ist so still, dass das leise Tropfen des Wasserhahns wehtut. Aber die Gegend stimmt. Hinten schiebt sich der Paramó als schmaler, düsterer Streifen vor den Horizont und riegelt die Bucht vom Meer ab. Dort lag es: Gold. Gold, so üppig, dass es die Welt verrückt machte.

Vermutlich wäre diese Geschichte längst vergessen, gäbe es nicht Leute wie Francisco Coloane. Coloane ist Schriftsteller, ein alter Chilene, 90. Als er jung war, reiste er nach Feuerland, lebte mit Robbenschlächtern, Zureitern und wilden Rebellen und hörte zu, was sie sich erzählten. Diese Geschichten erschienen in zwei schmalen Bändchen 1941 und 1956 in Chile und ein halbes Jahrhundert später in Europa. Die Erzählung „Feuerland“ spielt hier in der Bucht von San Sebastián. „Die ganze Region ist als El Paramó bekannt“, heißt es da, „und dort hatte Julio Popper, der als erster Weißer die Insel von der Magellanstraße bis zum Atlantischen Ozean durchquert hatte, unberührte Vorkommen von Goldstaub, Goldflitter und Goldkörnern entdeckt.“

Coloane erzählt die Geschichte von zwei Männern, Schaeffer und Novak, die, vom Gold angelockt, zunächst für Popper gearbeitet hatten, später jedoch nicht mit ansehen wollten, wie dieser den Reichtum allein abschöpfte – bis zu einer halben Tonne Gold pro Jahr habe er aus den Stränden des Paramó gewaschen. Die beiden rebellierten zusammen mit anderen, Popper schlug den Aufstand brutal nieder, Schaeffer und Novak flohen. Folgt man der inneren Geografie der Geschichte, so fanden sie nur wenig südlich von dem Ort, wo jetzt der Grenzposten liegt, in einem Tal Zuflucht.

Im Hotel beäugt man mich, die Fremde, skeptisch. Beobachtet, wie ich nachmittags spazieren gehe, die Küste am Strand entlang bis dort, wo die Bucht endet und die Hügelkette senkrecht ins Meer stürzt. Keiner ahnt, was ich suche. Ein Walskelett. Als wären Coloanes Geschichten wahr. Ich wüsste, was ich täte, wenn ich es fände. Ich risse ein Rippe heraus und hoffte, dass es mir ginge wie Schaeffer. Coloane schreibt: „Als er die Rippe mit einem Ruck aus dem Sand gezogen hatte, war schwarzer Sand aus dem Loch gesickert! Er hob ihn zitternd auf und zerrieb ihn zwischen den Fingern. Er traute seinen Augen kaum, doch seine Finger erkannten die eisenhaltige Körnung, den charakteristischen schwarzen Sand, in dessen Nähe meistens Gold gefunden wird. Die Ödnis jener verlassenen Gegend verwandelte sich für Schaeffer in den wundervollsten, lieblichsten Ort der Welt.“ Aber ich finde kein Skelett, und zwischen meinen Fingern bleibt der Sand Sand und die Gegend weit und rau und öde.

Ich lasse mir in der Raststätte ein Steak braten. Die Kellnerin, die offensichtlich lange gegrübelt hat, fragt nach den Gründen für mein Hiersein. Sie zieht den Hotelier zu Rate, aber auch der hat nur eine ungefähre Ahnung, wo Poppers Goldwäscherei zu finden ist. „Aber ich habe ein Auto, das finden wir raus.“

Am nächsten Morgen fahren wir über die schmale Schotterpiste nach Norden, rechts das Watt, breit und schweigend, links nur Schafe und bald die nickenden Stahlrösser der Erdölfördergesellschaften. „Kanadier und Nordamerikaner“, sagt Aquiles, der Hotelier. Er ist um die 40, drahtig, ein Mann, der seine Kunden mit Handschlag begrüßt. Über die immer löchriger werdende Piste fahren wir hinaus zum Arm des Paramó, der sich wie eine schmale Landzunge aus Sand und Kies und Steinen vor die Bucht legt. Gelber Lehm hebt sich schroff über den Strand, bewachsen von zerzausten Büschen, buschigem Gras und dem weichen Geflecht der Pampa. Aquiles steuert seinen Four-Wheel-Drive über die Hügel wie ein Schiff in schwankender See. Wir erreichen die Klippe. In der Ferne flackert das Feuer der Erdölraffinerie. Doch links, ein Stück weiter im Norden, liegt ein düsteres Ungetüm am Strand. Sollte das die Maschine sein, die Popper „Goldernter“ nannte?

„Mit Waschpfanne, Sieb und Spitzhacke ließ sich der Ehrgeiz des glücklichen Goldsuchers nicht befriedigen“, schreibt Coloane. Popper baute eine Goldwaschanlage und ließ Ebbe und Flut für sich arbeiten. Seine Männer mussten Stollen in die Steilküste graben. „Wenn das Wasser stieg, schloss er es mittels massiver Holztore in den Röhren ein, und wenn es wieder sank, entließ er es aus seinem Gefängnis, regelte jedoch den Druck, so dass dabei das gesamte goldhaltige Gestein gewaschen wurde. Der Ertrag dieser Vorrichtungen war so außergewöhnlich, dass Popper ihnen den Namen Goldernter gab.“ Aquiles kneift die Augen zusammen, um das Gebilde dort unten am Strand zu betrachten. Es ist eckig, etwas Großes, Rundes daran, das an eine Waschmaschinentrommel erinnert. Wir springen durch feinen Sand hinunter zum Strand, völlig gebannt und aufgeregt von dem Monster vor unseren Augen.

„Port of Panama“ steht an der rostigen Rückwand. War Poppers „Goldernter“ nicht aus Holz? Wir sehen uns an, müssen grinsen. Goldsucher, haha. Aber in Aquiles Kopf rumort es. „Die Fischer“, sagt er schließlich, „die kennen die alten Geschichten.“ Auf dem Rückweg halten wir bei einer aus Brettern, Blech und Planen zusammengebastelten Hütte am Strand. Hier sehe ich, was ich gestern gesucht habe. Walknochen. Sie liegen ausgeblichen vor der Hütte, als Gartenschmuck in der blumenlosen Gegend. Ein Wirbel. Eine Rippe. Ist das ein Zeichen?

Später kommt ein Fischer in die Gaststätte, um seinen Fang abzuliefern, einen kleinen Robalo, eingeschnürt in eine Tüte. In der anderen Hand hat er ein Buch. „Gestatten? Ich heiße Jorge“, sagt er höflich und setzt sich in seiner dicken, zerfetzten Jacke zu mir an den Tisch. Das Buch ist ein Lehrbuch der englischen Sprache. Es ist voll von Geschichten, die den Fischer erfreuen und die er nun erzählt. Sein Kopf läuft rot an, die blauen Augen blitzen wässrig, der Bauch bebt, so laut muss er lachen. Von mir will er die Aussprache lernen. Wie sagt man zum Beispiel: „I should shoot“? Wir üben. „A whiskey, please!“, sagt er dann. Die Kellnerin zögert. Dann geht sie und kommt mit einem vollen Glas zurück. Jorge nippt.

In der Bucht lag es: Gold. Gold so üppig, dass es die Welt verrückt machte.

Ich nutze die Pause, um ihn zu befragen. Die Namen Schaeffer und Novak hat er nie gehört. Aber Popper, klar, dessen Geschichte kennt er. Er malt eine Karte, die Bucht von San Sebastián, die Landzunge und die Steilküste am Ende. „Hier“, sagt er, „stand Poppers Maschine, ungefähr bei dem Wrack.“ Er malt weiter. Sieben kleine Kästchen, dicht an dicht, und in jedes ein Kreuz. Was das ist? „Sieben Gräber, für sieben Männer, die Popper erschoss.“ Sie hatten Gold gefunden, woanders, aber Popper glaubte ihnen nicht, sondern meinte, sie hätten das Gold gestohlen. „Da nahm er sie, einen nach dem anderen und – puff – shot!“ Jorge rollt mit den Augen. „Einen Whiskey!“, ruft er, und die Kellnerin steuert ein weiteres Glas bei. „Warum musste er die denn erschießen?“, fragt sie. Jorge nimmt wieder Stift und Papier, schreibt: „Kain – Abel – Seth“, streicht Abel durch und schickt Kain in die Wüste.

Er seufzt. „Warum bringt einer den anderen um? Popper war ein Fiesling, ein Tyrann. Er wollte halb Südamerika beherrschen – mitten durch Chile und Argentinien sollte die Grenze gehen, und alles südlich davon wäre seins. Aber eines Tages war Schluss mit dem Gold und mit Popper kurz darauf auch.“ Und die sieben Kreuze? „Die standen noch, als ich hier anfing. Aber dann kam ein Sturm und riss die Küste mitsamt den Gräbern ins Meer.“

Plötzlich beugt der Fischer sich vor und schleudert mir seine Alkoholfahne ins Gesicht. „Wissen Sie schon, wo Sie in Punta Arenas schlafen?“, fragt er. Seine wässrigen Augen werden lüstern. „Nehmen Sie das feinste Hotel am Platze, das José Nogeira. Sara Braun – die Frau, die es gebaut hat – war reich. Unglaublich reich. Und wissen Sie, warum?“ Er kommt noch näher. „Es heißt, sie hat mit jedem geschlafen, der ihr ein Glas Gold auf den Nachttisch gestellt hat.“ Er lacht dreckig. Aber wo ist das Gold? Jorge grinst. Die Kellnerin und das Zimmermädchen starren ihn an. „Es gibt hier kein Gold mehr“, sagt er und beteuert, dass er, obwohl er am Strand wohnt, keinen einzigen Nugget besitzt. Statt dessen erzählt er, dass er einmal einen Job auf der Ölbohrplattform hatte. Sehr, sehr gut bezahlt. „Aber ich habe Flugangst. Ich sollte mit dem Helikopter da raus und brauchte zwei Liter Whiskey, um überhaupt einsteigen zu können.“ Seither lebt er draußen bei den Fischen.

Schaeffer und Novak, die Helden aus Coloanes Geschichte, blieben einen langen Sommer an der Bucht von San Sebastián. Sie gruben den Strand um, bis nichts mehr zu holen war. Nach einer dramatischen Nacht voller finsterer Gedanken um Verrat, Raub und Mord trennten sie sich schließlich. „Pass auf deinen Beutel auf, es ist alles, was du noch hast in diesem Leben“, verabschiedete Novak seinen Kameraden. „Er ist das Leben“, antwortete Schaeffer.

Draußen an der Grenzstation fährt der Bus vor. Ein fieser Wind heult ums Haus, und die Bucht schäumt. Der Busfahrer nimmt meinen Rucksack entgegen und verstaut ihn im Gepäckfach. Er ist schwerer geworden. Drei Steine sind dabei: Souvenirs. Was Besseres war in San Sebastián nicht zu finden.