„Wir müssen auf Ökologie setzen“

Interview JENS KÖNIG, PATRIK SCHWARZ
und SEVERIN WEILAND

Herr Kuhn, haben Sie sich bei den Bauern schon bedankt?

Fritz Kuhn: Ich wüsste nicht wofür. Für BSE jedenfalls nicht.

Sie haben die Frage aber schnell durchschaut.

Ich kenne doch die taz.

Renate Künast hat vor kurzem gesagt, bei der Doppelspitze der Grünen sei sie die Städterin und Fritz Kuhn der Bauer. Traut sich der Bauer Kuhn zu behaupten, dass die BSE-Krise politisch ein Glücksfall für die Grünen ist?

Der „Bauer“ Kuhn möchte zunächst darauf hinweisen, dass er aus Stuttgart kommt, bekannt für Viehzucht und Ackerbau.

Aber Sie engagieren sich seit vielen Jahren für den Biolandbau.

Das ist richtig. Wer in einem Flächenland wie Baden-Württemberg gute Politik machen will, der muss sich mit Landwirtschaftspolitik befassen. Außerdem interessiere ich mich dafür, was wir so essen und trinken.

Ist die BSE-Krise nun ein Glücksfall für die Grünen?

Teils, teils. Einerseits bestärkt der Skandal die Grünen, die ja schon immer vor dieser hoch industrialisierten Turbolandwirtschaft gewarnt haben. Andererseits haben solche Krisen auch kurze Halbwertszeiten. Angst und Bedrückung schlagen leicht in Fatalismus um.

Die jetzige Krise ist auch nicht der erste BSE-Skandal.

Richtig. Aber diese BSE-Krise ist auch eine Chance, endlich zu einer anderen Landwirtschaft zu kommen. Wenn wir die Risiken für die Verbraucher systematisch minimieren wollen – absolute Sicherheit gibt es nirgends –, brauchen wir einen biologischen Landbau und artgerechte Tierhaltung.

Kehrt damit die Ökologie wieder in die Politik zurück?

Die Ökologie ist nie aus der Politik verschwunden. Weltweiter Klimaschutz, Energiewende, sauberes Wasser – das sind Themen, bei denen wir erst am Anfang stehen. Wir haben in Deutschland ein riesiges Verkehrsproblem und eine hochriskante Nahrungsmittelproduktion. Wer auch nur ein bisschen was von Ökologie versteht, weiß, dass da überhaupt nichts erledigt ist.

Alle Umfragen belegen aber, dass den Menschen die soziale Frage viel wichtiger ist als der Umweltschutz.

Die Grünen müssen zeigen, dass beides zusammengehört. Ökologie ist eines der wichtigsten Modernisierungsthemen in Deutschland. Sie ist gut für die Umwelt und schafft Arbeitsplätze.

Arbeitsplätze auch bei den Grünen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Grünen wieder stärker werden, wenn sie klar auf das Thema Ökologie setzen. In den vergangenen Jahren war es zu sehr eine Angelegenheit der Fachpolitiker.

Passen Sie auf, dass Sie nicht zu spät kommen. Der Kanzler will neuerdings auch glückliche Kühe, redet über Verbraucherschutz und lässt per Schnellgesetz die Verfütterung von Tiermehl verbieten.

Ich freue mich darüber.

Sie scherzen!

Nein. Ich finde es gut, dass der Kanzler so reagiert hat.

Ist das kein Problem für die Grünen?

Nun wollen wir mal nicht übertreiben. Der Kanzler hat eine Abkehr von der industrialisierten Landwirtschaft gefordert. Gut. Damit hat er sich festgelegt. Die Regierung hat die Verfütterung von Tiermehl verboten. Auch gut. Das ist eine dringende Sofortmaßnahme. Aber das ist noch kein Ausweg aus der Krise.

Sie misstrauen dem Öko-Kanzler.

Nein. Schröder hat ein wichtiges Ziel künftiger Agrarpolitik beschrieben; ein Ziel übrigens, das die Grünen schon seit langem propagieren. Ich weiß aber auch, dass die Mühen der Ebene viel größer sind, als es im Moment scheint. Es gibt einen agrarindustriellen Komplex mit viel Macht, großem Einfluss und einer starken Lobby. Da reicht es nicht, sonntags in der Kirche vom ökologischen Landbau zu reden. Dieser Agrar-industrie-Komplex, dessen Scheitern offensichtlich ist, muss zurückgedrängt werden.

Wenn der Kanzler dazu schon nichts sagt, haben denn wenigstens die Grünen ein Rezept?

Wir haben in dieser Woche Vorschläge für eine zukunftsfähige Landwirtschaft gemacht. Das Ziel der Grünen ist es, in den nächsten fünf Jahren den Anteil der Ökolebensmittel von gegenwärtig drei auf zehn Prozent auszuweiten. Wir wollen, verteilt auf diesen Zeitraum, 500 Millionen Mark zusätzliche Fördermittel zur Verfügung stellen. Wir fordern klare Kennzeichnungsregelungen für landwirtschaftliche Produkte. Wir wollen ein eindeutiges Ökoprüfsiegel und die Kennzeichnung zertifizierter Qualitätsprodukte. Außerdem müssen wir artgerechte Tierhaltung und naturgemäße Landwirtschaft zum Standard

Die kleinen Grünen kämpfen einsam gegen die große Agrarlobby?

Das ist eine Herkulesaufgabe. Das schaffen SPD und Grüne nur gemeinsam, im Bündnis mit den Verbrauchern. Das heißt umgekehrt aber auch, dass es ohne die Grünen nicht geht. Mit unserer zwanzigjährigen Erfahrung im Biolandbau sind wir dafür unverzichtbar.

Sie loben den Kanzler. Eigentlich müsste er Sie doch zur Verzweiflung treiben.

Warum das?

Weil seine plötzliche Liebe zur Ökologie nur eine Form seiner kurzatmigen Politik ist.

Das, was die Regierung in Sachen BSE gesagt und getan hat, ist normales Krisenmanagment. Das sind erste, wichtige Schritte. Ich habe überhaupt keinen Grund, verzweifelt zu sein. Das wäre ich, wenn die SPD behaupten würde, das verseuchte Rind aus Schleswig- Holstein sei nur ein Einzelfall. Aber nein, Schröder sagt, Deutschland muss endlich weg von diesen großen Agrarfabriken. Solche Worte sind wichtig. Man muss sie ernst nehmen.

Der Kanzler gibt leere Versprechen ab. Ihm macht es nicht einmal etwas aus, für ein neues Versprechen ein altes zu brechen. Stichwort Entfernungspauschale.

Der Kanzler hat nicht irgendwelche Versprechen abgegeben. SPD und Grünen hatten eine klare Vereinbarung. Wir hatten uns im Sommer auf eine Entfernungspauschale geeinigt, die alle Verkehrsmittel gleichstellt.

Gut, dann hat Schröder eben kein Versprechen gebrochen, sondern eine Vereinbarung. Noch schlimmer.

Aber was hilft die beste Vereinbarung, wenn die Regierung im Bundesrat keine Mehrheiten dafür bekommt? Deswegen hat die SPD einen anderen Vorschlag gemacht.

Ohne mit den Grünen vorher darüber zu reden.

Das ist richtig. Wir haben diesen Vorschlag auch nicht für richtig gehalten. Aber jetzt haben wir uns auf einen Kompromiss geeinigt, der die Interessen beider Seiten berücksichtigt. Es bleibt bei einer Entfernungspauschale von 70 bzw. 80 Pfennig pro Kilometer. Die Bus- und Bahnfahrer werden gegenüber den Autofahrern steuerlich nicht benachteiligt. Das ist ein Riesenfortschritt.

Sie sind also nicht enttäuscht vom Kanzler?

Ich glaube, Sie haben ein Problem mit dem Kanzler. Ich gehe immer davon aus, dass das, was man bespricht, auch gilt. Wenn eine Vereinbarung aus bestimmten Gründen nicht eingehalten werden kann, muss man neu verhandeln. Am Ende wird bewertet, was rausgekommen ist.

So einfach ist das?

So schwierig ist das.

Der Kanzler kann sich froh und glücklich schätzen, so einen loyalen Koalitionspartner zu haben.

Die Gefechtslage in den letzten Wochen war doch eine etwas andere. Da hieß es immer, die neuen Grünen-Chefs Künast und Kuhn würden Konflikte austragen, wollten sich profilieren, seien zu selbstbewusst. Was für ungeheuerliche Taten!

Ja, eben. Wo ist Ihr Selbstbewusstsein hin? Sie reden hier die Probleme schön.

Das tue ich nicht. Ich halte nur die Vorstellung für falsch, der rot-grünen Regierung geht es umso besser, je mehr Zoff SPD und Grüne miteinander haben. Es geht bei vielen Konflikten auch gar nicht um Rot gegen Grün. Wir streiten miteinander, nicht gegeneinander. Wir haben eine Reihe inhaltlicher Fragen, für die wir nach rot-grünen Antworten suchen. Warum sollen wir eine Politik betreiben, die bei der nächsten Bundestagswahl zu einer anderen als einer rot-grünen Mehrheit führt?

Und das grüne Selbstbewusstsein?

Das ist vorhanden, keine Sorge. Wir achten schon darauf, was für die Grünen gut ist. Wir werden unsere politische Position immer wieder klarmachen und dafür auch hart kämpfen.

Das schadet Ihrer Logik nach aber doch wieder der Regierung.

Im Gegenteil: Es nützt ihr. Mit selbstbewussten Partnern kann man viel besser regieren. Wir müssen beide Perspektiven im Blick haben: die grüne und die rot-grüne.

Die SPD denkt da viel egoistischer.

Eine Koalition kann nicht nach dem Prinzip funktionieren: Die Partei, die größer ist, hat automatisch Recht. Und die Grünen sind umgekehrt dann stark, wenn sie kluge Vorschläge machen, die auch in den Reihen der SPD eine Mehrheiten finden könnten. Wenn die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, sonst nicht gerade eine grüne Kampftruppe, unser Konzept für die Entfernungspauschale lobt, dann ist das wichtiger als das ganze Befindlichkeitsgesülze, auf dem Sie immer rumhacken.

Die Sozialdemokraten müssen auf ihre Basis, ihre Wähler und die Gewerkschaften Rücksicht nehmen. Am liebsten würden sie jetzt bis 2002 erst mal Schluss machen mit den Reformen. Beunruhigt Sie das?

Die Regierung würde einen großen Fehler machen, wenn sie sich auf ihren Lorbeeren ausruhte. Das wird es mit den Grünen nicht geben. Ich glaube der Modernisierer Schröder weiß selbst, dass eine Reformpause gefährlich für seine Partei wäre.

Die SPD gibt das Motto „Sicherheit im Wandel“ aus. Die Sozialdemokraten hätten den Leuten schon zu viele Veränderungen zugemutet, heißt es.

Es steht mir nicht zu, die Slogans unseres hochverehrten Koalitionspartners zu bewerten. Unsere Rolle besteht darin, Impulsgeber für weitere Reformen zu sein. Das ist mit einem Schuss Konservatismus verbunden. Die Natur erhalten zu wollen ist ein wertkonservatives Anliegen. Aber wir wissen, dass das nur machbar ist, wenn man viel verändert. Die Grünen sind, im Gegensatz zu Teilen der SPD, nicht strukturkonservativ.

Das hört sich trotzdem an, als würden Sie die Nöte der SPD verstehen.

Ich verstehe sie. Die SPD muss schließlich viele Leute mitnehmen auf dem Reformweg. Die Frage ist nur, welche Konsequenzen man daraus zieht. Man darf die notwendigen gesellschaftlichen Modernisierungen nicht einfach durchpeitschen, man muss für sie werben. Das gilt auch für die Grünen. Wir dürfen das Sicherheitsbedürfnis der Menschen nicht verlachen oder ignorieren. Die meisten Veränderungen tun ja erst mal weh. Aber man darf auf Reformen nicht verzichten.

Manche halten die neue Angriffslust der Grünen nicht für ein Zeichen der Stärke. Haben Sie nur Angst vor einem schlechten Wahlergebnis?

Natürlich wollen wir bei der Bundestagswahl ein gutes Ergebnis auf unserem Konto haben, am besten acht, neun Prozent. Aber unser Selbstbewusstsein rührt daher, dass die Grünen für eine gerechte soziale und ökologische Modernisierung des Landes unverzichtbar sind.

Also kein Pfeifen im dunklen Wald?

Im Wald soll man nicht pfeifen.

Warum das denn?

Sonst kommt der böse Wolf und frisst dich auf.

Zitate:KUHN AN DIE GRÜNEN:„Die Grünen werden wieder stärker, wenn sie klar auf Ökologie setzen.“KUHN ÜBER DIE BSE-KRISE:„Wir brauchen einen biologischen Landbau und artgerechte Tierhaltung.“