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Soundcheck

Gehört: Atom Heart, Westwerk. Anfang der 60er Jahre beginnt Dr. Jon Osterman an einem Institut zu arbeiten, das in Experimenten Objekte von ihrem spezifischen Gewicht trennt. Der Atomphysiker übersieht dabei eines Tages das Zeitschloss im Versuchsreaktor und wird dort eingesperrt, in seine Elementarteile zerfetzt. Nach und nach setzt er sich anschließend wieder zusammen und mutiert so zur Superheldenfigur „Doc Manhattan“.

Er ist der einzige Mensch auf der Welt, der die Strukturen, aus denen die Erde zusammengesetzt ist, sehen und verändern kann. In einem Komplott wird ihm deshalb vorgeworfen, dass Menschen in seiner Umgebung radioaktiv verstrahlt werden. Osterman verlässt daraufhin die Erde, teleportiert sich zum Mars und baut sich dort eine eigene Welt aus dem Sand und Gestein des Planeten zusammen.

Soweit die Geschichte der Comicfigur von Alan Moore, die wie ein weiteres Alter Ego eben jenes Uwe Schmidt funktioniert, der Mitte der 80er Jahre in Frankfurt mit der Veröffentlichung eigener Kassetten beginnt. Er explodiert nicht und verwandelt sich auch in keinen Super-Menschen, sondern besorgt sich einen Sampler-Apparat, mit dessen Hilfe er Musik und Klänge in Einzelteile zerlegt, um sie wieder neu zusammenzusetzten. Dabei ist das Spektrum seiner weiteren Veröffentlichungen so groß wie die Anzahl seiner Pseudonyme: Als Atomu Shinzu, Coer Atomique, IO, Datacide, Lassigue Bendthaus, Lisa Carbon, D Ammond, Mike Mc Coy, Senor Coconut, Guz 'n' Gosh bringt er es auf weit mehr als hundert Platten und betreibt gleichzeitig sein eigenes Label „Rather Interesting“.

Die Veranstalter von „Music For Our Children“ hatten jetzt Schmidts vielleicht ältestes Alias ins Westwerk eingeladen: Atom Heart. Gerade weil er unter diesem Namen keine neue Platte draußen hat, betreiben MFOC damit so etwas wie historische Musikforschung. Spätestens am Sonnabend wurde klar, dass auch neueste Tanzmusik eine Geschichte hat. Als Atomist widmet sich Schmidt der Materie, die aus kleinsten, nicht zerlegbaren Teilen besteht, dem Sound. Während er als IO und Senor Coconut geliebte Songs und das Werk von Kraftwerk aus kleinsten Schnipseln und Teilen anderer Musik zusammensetzt, untersucht er als Atom Heart die nicht mehr verkleinerbare Welt des Klangs.

Vor einigen Jahren ist Schmidt aus Deutschland nach Chile ausgewandert, nicht aufgrund eines Komplotts, sondern um der Enge der hiesigen Musikindustrie mit ihrem Cliquentreiben zu entkommen. Und dort hat Schmidts Musik einen deutlich sonnigeren Klang bekommen. Unter seinen Händen erwärmen sich kalte digitale Daten in die gleiche Hitze, die entsteht, wenn tanzende Gelenke schneller werden. „Die Freisetzung der Atomkraft hat alles bis auf unser Denken verändert... Die Lösung dieses Problems liegt im Herzen der Menschen“ (A. Einstein). N. Duric

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