kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Kickern

Tja, kickern. Was wäre da zu sagen: Kickern gehört erst mal zu den Freizeitbeschäftigungen, die wirklich jeder kennt, aber niemanden stärker interessieren. Zu Recht. Kickern, wie das Tischfußballspielen hier zu Lande genannt wird, Profis sagen auch mal Soccer, manchmal „Krökeln“, ist sogar superlangweilig. Viele angenehme Dinge sind langweilig: Freunde treffen, Essen gehen, Jazzplatten hören, ja, die allermeisten Errungenschaften des zivilisierten Lebens sind langweilig. Der Grund: langweilige Leute.

Vielleicht ist es einfach dieser assoziative Zwang: Kickern – Ort: Kneipe – Menschen: Studenten. Auf der Klassenreise im Schullandheim hatte der Kickertisch noch wirklich Klasse, er war oft die einzige Ausflucht aus der pubertären Enge; was erlaubt war, war scheiße, was erträumt war, meist nicht möglich. Am Kickertisch versammelten sich Jungen und Mädchen. Zwar zogen die Jungs auch hier eine Show ab, aber alle waren dabei, gespielt wurde meist zu viert, der Rest grölte.

Kickern war gerade in der Pubertät der demokratische Gegenentwurf zu „dem“ anderen Kneipensport, dem Billardspielen, dem Machoding, das nach Spielhalle und Abzocke roch. Genau dort liegt ja das Problem: Während Billard immer auch Inszenierung der Männlichkeit und Coolness war, mensch denke nur an Filme wie „Die Farbe des Geldes“ mit Tom Cruise und Paul Newman, so war bis „Absolute Giganten“ ein Film mit einer coolen Kickersequenz überhaupt nicht denkbar.

Während Billard das Spiel der männlichen Erwachsenden ist, bei dem Teenager verzweifelt ihre weiblichen Altersgenossen auf Distanz halten, so wird die Geschlechterfrage beim Kickern nicht so ernst genommen. Und das ist gut so. Dass bei allen Vorhaben, bei dem das zumindest immanente Egalitäre und Leistungsverneinende im Vordergrund steht, leicht Verkrampfungen aufkommen können, ist geschenkt, schließlich sind wir immer noch in Deutschland.

Die Hauptstadt dieses Landes ist definitiv nicht die der Kicker. Dabei war der Erfinder des Kickervorläufers ein Berliner. Fritz Möhring stellte auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1934 sein Stangentischfußballgerät vor. Der Name war Programm:„Knall den Ball“. Das Paradies der Spieler ist das Saarland, obwohl die Geburtsstätte, der Sitz der Firma Kicker, in Übachpalenberg bei Aachen liegt. Im Saarland sind allein drei Viertel der insgesamt 1.500 deutschen Vereinsspieler zu finden. In Berlin gibt es nicht einmal einen richtigen Verein.

In beiden Stadthälften hatte es das Kickern sehr schwer, in Westberlin lähmte die Insellage, und im Osten gab es nicht mal ein DDR-Pendant zum Tischfußball, wie es das etwa zum westdeutschen Tipp-Kick gab. Hinzu kommt die spezielle Kiezkultur, die, obwohl ansonsten heiß geliebt, die Entwicklung zum Weltklassesport verhindert. Willy Meyer, einer der wichtigsten Knotenpunkte des Berliner Kickerns, schreibt dazu: „Ein Grundproblem war immer die mangelnde Bereitschaft der Kicker-Berliner, den eigenen Feierabend-Kicker-Kiez zu verlassen“. Um die renitente Szene auf Trab zu bringen, hat er vor kurzem die erste Kickerseite Berlins ins Netz gestellt (http://members.tripod.de/Berlinkicker). Da sind auch die 33 Berliner Kickerkneipen aufgelistet.

Als das Mekka gilt immer noch das „Intertank“ in Kreuzberg, wobei das „Nemo“ im Prenzlauer Berg derzeit stark aufholt. Diese Kneipe ist der Treffpunkt für spielwütiges Szenevolk, welches zum Glück noch nicht das verkrampfte Leistungsniveau des „Intertank“ erreicht hat.

Gerade in der Schwäche des Berliner Kickerlebens steckt deren Charme. Sogar im Tipp-Kick gibt es schon eine landesweite Bundesliga, das Kickern scheint diesen Schritt zum Vereinssport einfach nicht gehen zu wollen oder zu können. Weiter so, warum aus jedem noch so kleinen Spaß gleich einen Sport machen? Warum mit jedem Menschen gleich einen Verein gründen? Kickern braucht das nicht. MATHIAS STUHR

Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 1 Punkt