Im Unterföhringer Hochdruckkessel

Die Aktien sind im tiefsten Keller, wütende Anleger klagen, der Chef spricht offen von Rücktritt: Wie ist die Stimmung bei EM.TV in München nach dem großen Knall? Eine Recherche vor Ort, dort, wo die Mitarbeiter ihre Limousinen parken – noch

Irgendwie muss das Leben ja weitergehen, und was hilft da besser als ein Kinderlachen?

aus München TOBIAS MOORSTEDT

Jetzt also, der nächste Versuch. Die Nummer ist längst im Rufwahlspeicher des Telefons gesichert. Das geht schneller. Zeit sparen, in Zeiten wo es auf diese doch so ankommt. Dann wieder Klingeltöne, wieder nichts, wieder vor allem die Warteschleife: eine austauschbare Soulstimme singt: „You’re the only one!“ Wir sehen sie richtig vor uns, die heiß laufenden Telefone in den Räumen des Medienvermarkters EM.TV, wie sie gleichzeitig klingeln, wie feine Rauchwölkchen zu den hohen Decken des Neubaus im Münchner Vorort Unterföhring ziehen. Wie die sich dann dort oben stauen, bis sich langsam Hochdruck aufbaut und die Explosion . . .

Nur wenige Tage ist es her, dass die einstige Vorzeigefirma des Neuen Marktes, die mit der Vermarktung von Programminhalten von der Muppet-Show bis zur Formel-1 reich geworden war, den medialen Offenbarungseid leisten musste, eine Gewinnwarnung heraus- und wenig später eine Beteiligung des Münchner Mediengiganten Kirch bekannt gab. Danach rauschte der Aktienkurs von EM.TV endgültig in den Keller.

Nun steht die Firma unter Druck. Weil alle wissen wollen, was genau bei EM.TV zur Zeit eigentlich los ist. Wie es den gut 200 Mitarbeitern in dem protzigen Neubau jetzt geht, in den sie doch erst vor wenigen Monaten eingezogen sind. Nein, mit den Mitarbeitern könne man leider nicht sprechen, nein, auch ein Besuch in den Firmenräumen sei zur Zeit wohl ausgeschlossen, der Zeitmangel, das müssen Sie schon verstehen.

Man heuchelt also Verständnis, weil Ungeduld einen auch nicht weiter bringt, auf diesem windig-kalten Parkplatz im Münchner Vorort Unterföhring, in den in den letzten Jahren alle Firmen gezogen sind, die auch nur im Entferntesten mit den Begriffen Internet oder Neuer Markt zu tun haben. Man wartet und beobachtet die vielen Kinder, die gerade aus den Mittelklassewagen aussteigen, und – ihre Eltern an der Hand – dorthin gehen, wohin man selbst nicht darf. Heute ist Nikolausfeier für den EM.TV-Nachwuchs, erfährt man. Irgendwie müsse das Leben ja weitergehen, trotz der Krise, und was helfe da besser als fröhliches Kinderlachen, das keine Gewinnwarnung, keine Börsenbaisse kennt?

Es ist jetzt 16.00 Uhr. Am Telefon mit Michael Birnbaum, dem Leiter der Pressestelle, dem einzigen Menschen, der wirklich sagen darf, was los ist, dafür aber keine Zeit hat. Es tue ihm aufrichtig leid, doch die Telefone stünden nicht still. Später dann aber, so gegen 19.00 Uhr, dann habe er Zeit, könne vielleicht auch mal die Füße auf den Schreibtisch legen und in normaler Geschwindigkeit sprechen.

Man legt auf, und überlegt sich, wie die Anfrage nach Rundgang und Gesprächen mit Mitarbeitern wohl noch vor einem halben Jahr beschieden worden wäre. Als EM.TV noch der Shooting-Star der Börse war und nicht die neue Symbolfigur für die tödliche Hybris der New Economy. Und als Thomas Haffa noch offen war für jeden Reporter, der die persönliche Erfolgsgeschichte des Schulabbrechers zum Konzernleiter erzählen wollte. Dieser Thomas Haffa, der Börsen- und Medienlehrling, der die Geister, die er rief, offenbar nur duldete, solange sie ihn als den Schönsten, Reichsten, Tollsten bezeichneten.

Diese Zeiten sind vorbei. Und Journalisten ein opportunistisches Volk, das mit Vorliebe Karrieren zerstört. Haffa hatte die optimale Fallhöhe. Heute will niemand mehr wissen, dass die seriöse Buisness Week Haffa mal als „Cartoon King“ bezeichnet hatte, dass die Bunte ihn vom Parfüm „Eau de Erfolg“ umweht glaubte. Denn die öffentliche Aufmerksamkeitsspanne ist kurz. Bald wird der alte Haffa vergessen sein, und wir werden uns nur noch an einen ehemals erfolgreichen Star erinnern, der vergangenen Zeiten nachtrauert. Und ein wenig an Mister Burns erinnern wird, den größenwahnsinnigen Milliardär aus der Kult-Serie „Simpsons“ – sinnigerweise auch ein Haffa-Produkt – der sich in einer Folge an der Börse verspekulierte, verarmte und am Schluss nicht mehr wusste, wie man ohne Chauffeur zum Supermarkt findet. „Eau de Erfolg“ – es ist so flüchtig. Und man erinnert sich an die Pressekonferenz vom vergangenen Montag, auf der Thomas Haffa die strategische Partnerschaft mit der Kirch AG bekannt gab: Haffas unsichere Seitenblicke zu Dieter Hahn, dem Vize-chef des Medienmoguls, seine fahrigen Striche durch die so wunderbar vollen Haare, die nervösen Spielchen mit Hand, Stift und Brille.

Und seine Mitarbeiter? Es müsse ja irgendwie weitergehen, sagen viele, und dass das Ganze auch gar nicht so schlimm sei. Man hört Durchhalteparolen, trotzige Tagträume von wiederkehrender Größe, umgangssprachliche Presseerklärungen im Stile Haffas, der auch immer wieder vom Vertrauen in die Idee EM.TV sprach. Man hört zu, und findet, Haffa sollte ein bisschen stolz sein auf solch loyale Mitarbeiter. Da ist nur wenig Enttäuschung, keine Verzweiflung der Menschen, von denen viele über Aktien an der Firma beteiligt sind. Es werden wieder bessere Zeiten kommen, sagt ein Mann, dessen teurer Anzug ihm so gut passt, dass man neidisch wird.

Kritische Stimmen gibt es nur selten. Zwar soll gegen Ende der Woche eine Versammlung der Mitarbeiter im so genannten Vorführkino der Firma stattgefunden haben, auf der Haffa seine Mitarbeiter über die anstehenden Strukturveränderungen informiert haben soll.

Zwar erfährt man aus Mitarbeiterkreisen, dass, ganz leise und von Mund zu Ohr, doch Kritik an der Firmenpolitik laut geworden sein soll, dass viele mit dem Großkapitalisten Kirch eigentlich nichts zu tun haben wollen und nun um die Unabhängigkeit der Firma fürchten. Am Ende soll aber dann doch geklatscht worden sein.

Das alles erfährt man auf dem Parkplatz und ist doch bald wieder allein. Und steht da nun. Vor dem schicken Neubau, der – würde man näher herantreten an die blanke Glasfassade – nur das eigene Spiegelbild zurückwerfen würde. Sonst nichts. Man bleibt allein. Allein mit allerlei Gerüchten, die einem in den vergangen Wochen über die Luxusarbeitsstätte des Thomas Haffa zu Ohren gekommen sind. Dass im Keller des Gebäudes ein Drei-Sterne-Koch zu Gange sei, um dem Chef bei Bedarf seine Leibspeise zuzubereiten, und dass an diesen Tagen dann wunderbare Gerüche durch das Treppenhaus ziehen. Oder dass die Südterrasse des Gebäudes der Schiffsbrücke eines noblen Kreuzfahrtdampfers gleiche. Von Dutzenden Sekretärinnen war da die Rede, die man nun nie zu Gesicht bekommen wird – das stimmt dann doch traurig. Statt dessen telefoniert man wieder.

Erwischt diesmal einen recht entspannten Pressesprecher Birnbaum. Die Leute identifizieren sich immer noch sehr mit der Firma, sagt er, und spricht von einem Gemeinschaftsgefühl, das zwar ein wenig geringer geworden sei, seit dem Umzug der Firma aus den engen Räumen in Münchens Zentrum, als der Chef im Flur regelmäßig über die vielen herumstehenden Kisten stolperte und keinen Leibkoch bei der Hand hatte.

Michael Birnbaum, der ehemalige Afrikakorrespondent der Süddeutschen Zeitung und, ja, Schwager von Thomas Haffa, erzählt dies alles mit überzeugter, aber sehr müder Stimme: „Wissen Sie, aber das werden Sie ohnehin nicht glauben, alle Leute in der Firma sagen: Jetzt packen wir es an. Die arbeiten rund um die Uhr. Die Atmosphäre ist gut. Aber das glaubt ja doch wieder keiner“.

Er habe, erzählt der Mann, der die Seiten gewechselt hat, in den vergangenen Wochen viel über die Exkollegen gelernt, und unterstellt damit allen Journalisten einen Vernichtungswillen im Hoeneßschen Sinne. Vergisst dabei aber auch, dass diese vor allem Antworten wollen, auf die vielen Fragen. Und dass Verschwiegenheit auch immer wie Geheimnistuerei wirkt. Doch es gibt keine Antworten. Nirgends. Nur verschlossene Türen. Keine Kommentare. Die Warteschleife düdelt. Amerikanischer Kommerzpop – wir haben ihn noch nie gemocht.