Schily für Kohl-Schutz

Kohl und Schily machen Druck auf Stasi-Akten-Behörde: Sie wollen verhindern, dass Abhörprotokolle über den Exkanzler öffentlich werden

BERLIN taz ■ Kaum im Amt, muss die neue Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, die erste Kraftprobe bestehen. Es geht um die Herausgabe der Kohl-Akten, genauer um Abhörprotokolle der Stasi, die Aufklärung über die Spendenaffäre und manch historische Frage bringen könnten. Helmut Kohl hat noch bis Ende des Monats das Recht, seine Unterlagen in Birthlers Behörde einzusehen. Dann könnten sie innerhalb von sechs Wochen für die Öffentlichkeit bereitgestellt werden.

Doch Kohl will das verhindern und reichte am Freitag Klage vorm Berliner Verwaltungsgericht „gegen die Bundesrepublik Deutschland“, vertreten durch Frau Birthler, ein.

Ein anderer Vertreter der Bundesrepublik, Innenminister Otto Schily (SPD), ist dabei auf Kohls Seite. Seit April macht er Druck, zunächst auf Joachim Gauck, nun auf seine Nachfolgerin Birthler. Als eine seiner letzten Amtshandlungen hatte Gauck noch ein Gutachten in Auftrag gegeben: Darin kommen die Professoren Klaus Marxen und Gerhard Werle zu dem Ergebnis, dass die Unterlagen herausgegeben werden dürfen.

Schily hat freilich ein eigenes Gutachten vom Juristen Philip Kunig, der Kohls Persönlichkeitsrechte durch eine Veröffentlichung verletzt sieht. Gestützt auf dieses Gutachten, drängte Schily auch Birthler; die erbat sich etwas Bedenkzeit und machte vor einer Woche ihrerseits klar, dass sie nicht anders handeln könne, als die Akte zu veröffentlichen. Während das Innenministerium offiziell von „sehr konstruktiven Gesprächen“ spricht, erwägt es nun intern eine „rechtsaufsichtliche Weisung“ gegen Birthler.

Wegen der Brisanz der Stasi-Dokumente hat die Birthler-Behörde große Unabhängigkeit. Formal liegt die Fachaufsicht beim Innenministerium, die Rechtsaufsicht kann allerdings Schily nicht wahrnehmen. Nur das Kabinett darf ein – aus seiner Sicht – rechtsfehlerhaftes Verhalten stoppen. Bislang ist es noch nicht dazu gekommen.

Der Streit geht nicht bloß um Kohl. Der überwiegende Anteil der Anfragen in Birthlers Behörde bezieht sich inzwischen auf westliche Politiker, die von der Stasi ausspioniert wurden. Bislang war es unbestrittene Praxis, Unterlagen von hohen Politikern herauszugeben. Auch bei umkämpften Fällen wie denen von Gysi oder Stolpe wurde keine Ausnahme gemacht. Allerdings ging es hier um die Überprüfung möglicher Stasi-Verstrickungen – anders als bei Kohl, der schlicht Opfer der Stasi ist. Trotzdem ist ein Unterschied zwischen Ost und West schwer zu vermitteln.

Rechtlich geht es um die Auslegung des Paragraphen 32 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Demnach dürfen persönliche Daten veröffentlicht werden, wenn es sich um „Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger“ handelt und „keine überwiegend schutzwürdigen Interessen der genannten Personen beeinträchtigt werden“. Während Werle und Marxen diese Grenze erst beim Privatleben ziehen, sieht Kunig eine Beeinträchtigung schon im Veröffentlichen vertraulicher Informationen. MATTHIAS URBACH