Romantisches Ballett skizzenhaft

■ Verlässt kaum klassisches Korsett: John Neumeiers „Giselle“

Was braucht es für ein romantisches Ballett? Ein paar Tutus, eine Geschichte von Liebe und ihrem Scheitern, von Tod und Jenseits – und dazu süßlichen Geigenklang. All das vereint Giselle. Der Klassiker von Jules Henri Vernoy de Saint-Georges, Théophile Gautier und Jean Coralli ist die Inkarnation des romantischen Balletts überhaupt. John Neumeiers Version, die jetzt mit dem Hamburg Ballett eine umjubelte Premiere in der Staatsoper feierte, ist unerwartet bloß eine sanft modernisierte geworden, erfreut aber mit dem gewohnt allerhöchsten technischen Niveau, starker Verinnerlichung und perfektem Ausdruck. Schon 1983 hatte Neumeier eine streng klassische Version erarbeitet, hier nun übernahm er Teile einer traditionellen Choreografie.

Das Bauernmädchen Giselle, getanzt von der wunderbar grazilen Elizabeth Loscavio, lebt mit ihrer Mutter (Anna Grabka) allein, umschwärmt von vielen Verehrern. Als Bauer getarnt, erlangt Herzog Al-brecht (Lloyd Riggins gewohnt souverän) ihre Liebe. Als er enttarnt wird, stirbt Giselle in einem dramatischen Akt vor Enttäuschung. Die Geschichte rührt noch immer, es droht allerdings auch Kitsch. Neumeier und seinem Bühnen- und Kostümbildner Yannis Kokkos gelingt eine Reduktion aufs Wesentliche. Ein paar schnelle bunte Striche deuten einen fast kindlich-unschuldigen Rahmen an, erinnern an die Skizzen des Robert Wilson.

Es hagelt Szenenapplaus. Nach der Pause folgt der dunkle, schwere Teil. Im Wald bei Giselles Grab trifft der nun verlassene Albert auf die Willis, die unglücklichen Geis-ter allzu früh verstorbener Bräute, unter ihnen Giselle. Die Massenszenen der Geister im Tutu erinnern an die großen Tage der Ballets Russes. Die Willis sind eine Bedrohung für die Lebenden und so auch für Albrecht, der sich in Rage tanzt, bis der Spuk vorüber ist. Ergreifend hier die von Adolphe Adam stammende Musik, die das Philharmonische Staatsorchester unter ihrem Leiter Peter Ernst Lassen in angenehmer Beschwingheit präsentiert. Die schönsten Momente aber sind die, in denen ein paar kurze Gesten das traditionelle Korsett vergessen lassen. Davon hätte es ruhig ein paar mehr geben können.

Annette Stiekele

weitere Vorstellungen: heute, 16. + 20.12., jeweils 19.30 Uhr, Staatsoper