dinge innen sehen: ein band mit tuschen des literaturnobelpreisträgers gao xingjian

Das Buch ist ein blitzschnelles Medium. Eine Woche nachdem der neue Nobelpreisträger bekannt gegeben wurde, lag auf Deutsch bereits das erste Buch mit Essays von Gao Xingjian als digitaler Print vor – „Nächtliche Wanderung“ in der Edition Mnemosyne, Neckargemünd. Das zweite Buch erscheint diese Woche: Gemeinsam mit dem SWR-Studio wird das Morat-Institut ab Freitag in Freiburg Tuschen des seit 1987 in Paris lebenden Schriftstellers ausstellen. Der dazugehörige Katalog (modo Verlag, Freiburg i. Br. 2000, 104 S., 54 DM) zeigt im Überblick der Jahre 1983 bis 1993, wie sehr Gao in der Tradition steht, mit der in der chinesischen Kunst abstrakte Landschaften und signethafte Gegenstände verbunden werden. Wie Kleckse sitzen Menschen zur Meditation auf dem leeren weißen Blatt und starren Vögel an, die sich am Himmel in Kratzspuren auflösen. Dann wieder ist es ein Bogen, der sich frei aus der Hand getuscht ein Meter breit über das Reispapier erstreckt, mit dem Gao 1988 seine Vorstellung vom Krieg abbildet (Foto). Im beigestellten Essay kehrt der Autor mit seinen „Gedanken zur Malerei“ zur Sprache zurück. Der Text versucht, das Verhältnis zwischen Europa und Asien in der Kunst zu erklären. Während hier die Moderne immer nach der Möglichkeit gesucht habe, die Illusion von Räumlichkeit auf den Bildern hinter sich zu lassen, sei asiatische Malerei von jeher flach gewesen. Gao interessiert sich für eine vorsichtige Mischung der Perspektiven, bei der sich die festen Fluchtpunkte im Raum verlieren. Am liebsten sind ihm Bilder, „die bei geschlossenen Augen zuweilen in unseren Köpfen aufsteigen: Man sieht sie mit dem geistigen Auge vor sich, aber ihre Entfernung bleibt unklar, und das Gesetz, dass kleinere Objekte weiter weg und größere näher dran sind, ist außer Kraft“. So genau kann vermutlich nur ein Schriftsteller beschreiben, wie Bilder funktionieren. hf