Hintern darf für Strickpullis abgestempelt werden

Die Kampagne des Modekonzerns Benetton wurde vor dem Bundesverfassungsgericht vom Vorwurf der Sittenwidrigkeit freigesprochen

KARLSRUHE taz ■ Jetzt dürfen Werbebotschaften auch mit dem Elend der Welt bebildert werden. Das Bundesverfassungsgericht erlaubte gestern eine Benetton-Fotokampagne, die Anfang der 90er in Deutschland Wirbel verursachte. Der Strickwarenhersteller hatte mit ölverschmierten Enten, schwer arbeitenden Kindern sowie einem „HIV-positiv“ gestempelten Hintern geworben. Der Bundesgerichthof (BGH) hatte die Motive 1995 als „unlautere Werbung“ verboten.

Das Bundesverfassungsgericht zeigte sich jetzt aber deutlich liberaler und hob das Verbot wieder auf. Es bekräftigte, dass auch Wirtschaftswerbung vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt sei.

Dabei sei es unerheblich, so Karlsruhe, dass Benetton zur Lösung der dargestellten Probleme nichts beitrage: „Auch das bloße Anprangern eines Missstandes steht unter dem Schutz des Grundgesetzes“, betonte Vizepräsident Hans-Jürgen Papier.

Zwar sei anzunehmen, dass die „Schockwerbung“ von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt werde, das genüge jedoch nicht für ein Verbot. Der Staat dürfe nicht Grundrechte einschränken, nur um „ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt der Bürger“ zu schützen, heißt es in der gestrigen Entscheidung. Wie bei gewöhnlicher „Imagewerbung“ müsse akzeptiert werden, dass kein Zusammenhang zu den beworbenen Produkten mehr bestehe und ganz auf die „suggestive“ Kraft der benutzten Bilder vertraut werde. Ob dabei an sexuelle Wünsche oder an das Mitleidsgefühl der Betrachter appelliert werde, sei unerheblich, betonte das BVerfG. Auch wenn die Verbraucher an „positive Bilder“ eher gewöhnt seien, sei dies kein Grund, die „negativen“ Werbebotschaften als unzulässige „Belästigung“ zu verbieten.

Besonderes Augenmerk legten die Richter auf das Bild des vermeintlichen Aidskranken. Dieses Motiv hatte der BGH nicht nur als Verstoß gegen die „guten Sitten“, sondern sogar als eine Verletzung der „Menschenwürde“ eingestuft. Auch das ging dem Verfassungsgericht zu weit. Eher könne man eine „anklagende Tendenz“ erkennen. „Mit diesem Foto könnte auch für einen Aids-Kongress geworben werden“, heißt es in der Begründung des Urteils.

Nach der gestrigen Entscheidung ist die Werbung allerdings nicht völlig frei. Karlsruhe betonte, dass „ekelerregende, furchteinflößende oder jugendgefährdende Bilder“ auch weiterhin tabu bleiben müssten. Außerdem dürfe Werbung natürlich nicht gegen die Menschenwürde verstoßen, bekräftigten die Richter. Karlsruhe hat die Latte des Verbots jetzt nur etwas höher gelegt.

Erfolg konnte gestern auch der Verlag Gruner + Jahr verbuchen. Er hatte den Fall bis in die letzte Instanz getragen, weil vom Verbot der Benetton-Kampagne auch die Illustrierte Stern betroffen war. Der italienische Modekonzern Benetton selbst hatte das Verbot nicht mehr weiter angegriffen. „Dieses Urteil ist auch eine Stärkung der Pressefreiheit“, betonte Gunnar Folke Schuppert, der Rechtsvertreter des Stern, nach der Verkündung.

CHRISTIAN RATH