Wer wählen geht, macht Fehler

Einen legitimen 43. Präsidenten der USA kann es aufgrund des schlechten Wahlsystems gar nicht geben

BERLIN taz ■ Wer ist der legitime 43. Präsident der USA? Diese Frage wird niemals beantwortet werden können, denn das Wahlsystem in den USA ist so schlecht, dass es bei einem knappen Ergebnis versagen muss.

Während es in Deutschland einheitlich gestaltete Stimmzettel gibt, legen in den USA einzelne Bundesstaaten und sogar Landkreise fest, wie gewählt wird. Dadurch werden beim Wählen und beim Auszählen Fehler erzeugt, die nicht zufällig wirken. Denn je niedriger das Bildungsniveau der Wähler, desto eher machen sie bei einem komplizierten System Fehler. Das mangelhafte Bildungssystem der USA zeitigt dann seine ganze fatale Wirkung: In Deutschland würden die meisten Wähler prüfen, ob die Wahlkarte wirklich an der richtigen Stelle ausgestanzt ist. In den USA verlassen sich viele darauf, dass „der Staat“ schon dafür sorgen wird, dass alles seine Richtigkeit hat. Aber dieser Staat in Gestalt von Wahlhelfern ist parteiisch.

Bei einem knappen Wahlausgang gilt das „Gesetz der großen Zahl“ nicht mehr, das besagt, dass Fehler zufällig wirken. Jeder Statistiker weiß das. Statistik spielt bei der US-Präsidentenwahl aber noch an einer ganz anderen Stelle ein große Rolle. Die Zahl der Wahlmänner wird pro Staat nach dessen Bevölkerungsgröße festgelegt. Da es in den USA aber kein Meldewesen gibt, weiß man nicht allzu genau, wie viele Menschen eigentlich in einem Bundesstaat leben. Das wird nur alle zehn Jahre mit Hilfe der Volkszählung festgestellt, die aber zahlreiche Bürger nicht erfasst.

Gar nicht gezählt werden Obdachlose und diejenigen, die in den Slums der großen Städte leben. Viele dort haben keinen festen Wohnsitz, und in einige Blocks trauen sich die Zähler gar nicht hinein. Das „Census Bureau“ schätzt, dass landesweit insgesamt nur etwa 92 Prozent der Bevölkerung von einer Volkszählung erfasst werden (in Deutschland sind es ca. 99,99 Prozent!). Die amtlichen Statistiker wollten deswegen die Volkszählung verbessern, indem nicht nur einmal gezählt wird, sondern zusätzlich noch stichprobenartige Kontrollen durchgeführt werden. Dies hat die republikanische Partei mit Hilfe des Surpreme Court im Vorfeld der Wahl mit dem Argument verhindert, dass die US-Verfassung von „zählen“ und nicht von „Stichproben“ spricht.

Die Republikaner wussten, warum sie eine bessere Qualität der Volkszählung verhindert haben: Sollten alle US-Amerikaner erfasst werden, würde sich herausstellen, dass die Bevölkerungszahl in Staaten wie New York und Kalifornien größer ist, als offiziell angegeben wird. Dadurch würden diese Staaten, in denen typischerweise die Mehrheit der Wähler die Demokraten bevorzugt, mehr Wahlmänner bekommen – und Al Gore wäre der nächste US-Präsident – unabhängig davon, wie die Sache in Florida ausgegangen wäre.

Auch die niedrige Wahlbeteiligung in den USA wirkt zugunsten der Republikaner: Gut ausgebildete Wähler gehen in größerer Zahl zur Wahl als schlecht ausgebildete. Deswegen ist es nicht absurd, zu behaupten, dass selbst eine schlecht gemachte Telefonumfrage unter 2.000 Personen, an der sich etwa 70 Prozent der angerufenen Personen beteiligen, ein besseres Bild dessen bietet, was der US-Bürger will, als eine Wahl es zu geben vermag. Telefone stehen auch in den Slums, die Stimmen werden von Profis in den Computer eingegeben, und die Auszählung erfolgt ebenfalls per Computer. Wenn das Ergebnis knapp ist, kann die Umfrage mit einer größeren Fallzahl fortgesetzt werden, bis ein eindeutiges Ergebnis vorliegt.

Nun kann man den USA nicht ernsthaft vorschlagen, ihren nächsten Präsidenten mit Hilfe von Meinungsumfragen zu ermitteln. Was man aus dieser Überlegung aber lernen kann, ist die Tatsache, dass die Voraussetzung für einen legitimen US-Präsidenten nicht nur ein technisch verbessertes und einheitliches Wahlsystem ist, sondern dass auch eine bessere Volkszählung dazugehört – und letztendlich auch ein besseres Bildungssystem, das die Wahlbeteiligung weniger selektiv macht. Insofern hat nicht nur der 43. Präsident der USA Schwierigkeiten mit seiner Legitimität; das wird auch bei weiteren Präsidenten der Fall sein, sofern die Wahl wieder knapp ausgeht. EDWARD J. BIRD
GERT G. WAGNER

Die Autoren sind Professoren für Volkswirtschaftslehre an der Universität Fullerton (Kalifornien) und der Viadrina in Frankfurt (Oder)