„Engel sind uns näher als Affen“

In der Gedächtniskirche machten sich ein Pfarrer, eine Ärztin und 70 Männer und Frauen auf die Suche nach den Boten Gottes. Obwohl eine Frau ihren „Engel Samuel“ mitgebracht hatte, blieb die Existenz des himmlischen Federvolks offen

Im Kino gibt es „Drei Engel für Charlie“. Aus Polizisten werden „Schutzengel“, wenn sie Kinder auffangen, die aus dem Fenster fallen. In Brandenburg ziehen Frauen mit weißen Gewändern, blauen Perücken und goldenen Flügeln als „Schutzengel“ durch Diskotheken, um Jungs davon abzuhalten, besoffen Auto zu fahren. Bei Max Josef Strauß, dem ältesten Sohn des einstigen CSU-Chefs, wird im Zusammenhang mit dem CDU-Spendenskandal gemunkelt, er habe einen Schutzengel in der Generalstaatsanwaltschaft.

Während immer weniger Menschen an Gott glauben, tauchen immer mehr von seinen Boten auf. Am Mittwochabend soll sogar einer im alten Turm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gewesen sein. Dort fand auf Einladung der Kirchengemeinde und des Heimatmuseums Charlottenburg, wo eine Engel-Ausstellung gezeigt wird, ein Gesprächsabend statt zum Thema „Engel – gibt’s die?“

Als die Ärztin Alexandra Schmidt, die bei ihren ambulanten Psychotherapien „die Seele ihrer Patienten begleitet“, die etwa 70 Männer und Frauen älteren und jüngeren Alters aufforderte, die Augen zu schließen und nach innen zu gehen – „Ich denke, ein Engel ist da“ –, geschahen seltsame Dinge. Nach einer Minute der Stille begann eine junge Frau, die sich als selbständige Unternehmerin vorstellte, zu sprechen. „Der Engel Samuel ist hinter mir. Ich weiß das, ich spreche und meditiere drei Mal täglich mit ihm.“ Die Blicke der Anwesenden ließen nicht erkennen, ob sie aus Neugierde oder Höflichkeit zuhörten, als sie erzählte, dass sie „von einem Medium“ erfahren habe, dass sie einen Engel habe, den sie nutzen solle. Während in Zwischensätzen zu erfahren war, dass sie ihre Eltern sehr früh verloren hat und zeitweise „auf Gott wütend war“, betonte sie, dass sie „überhaupt nicht kirchlich belastet“ sei und trotzdem den Engel manchmal in ihrem Innern sehe. Als „Beweis“ seiner Existenz führte sie an, dass er es gewesen sei, der sie zum Sprechen ermutigt habe. „Ich habe ihn gefragt, ob ich was sagen soll und er hat Ja gesagt.“

Nach einer kürzlichen Umfrage des überaus irdischen Allensbacher Instituts für Demoskopie glaubt fast jeder dritte Deutsche an die Existenz von Engeln. Jeder fünfte der 1.137 Befragten hat nach eigener Darstellung schon einen Engel getroffen. Engel gesichtet oder nicht – das war für die Gesprächsrunde in der Gedächtniskirche nicht die entscheidende Frage. Die Anwesenden wollten wissen, ob es das himmlische Federvolk wirklich gibt.

Dietrich Rönisch, Pfarrer im Ruhestand, entzog sich einer Antwort mit der Gegenfrage. „Gibt es Hunde und Katzen?“ Nur Mystiker könnten die Frage beantworten. Immerhin gab er Ratschläge, wie man sich dem Thema nähern könne. „Was es mit Engeln auf sich hat, eröffnet sich erst dem, dessen Seele aufnahmefähig geworden ist für das Wirken seines Menschengeistes in seiner Seele.“ Auf jeden Fall sei es „Aufgabe der Engel, Botschaften von einer Wirklichkeitsebene in eine andere zu bringen – im Auftrag Gottes“. Und: „Engel sind unsere nächsten Verwandten. Sie haben mehr mit uns gemein als wir mit den Affen.“ Eine Aussage, die mit schüchternem Lachen aus dem Publikum quittiert wurde.

Auch wenn die Existenzfrage nicht direkt beantwortet wurde, erzählten mehr und mehr Menschen aus dem Publikum von für sie unerklärlichen Geschehnissen. Eine ältere Dame sagte: „Ich habe einen Schutzengel in Sonderschicht.“ Nur so könne sie sich erklären, seit zwanzig Jahren in Berlin Fahrrad zu fahren und nur ein einziges Mal von einem Auto angefahren worden zu sein. Ein Autofahrer wiederum berichtete, wie er einmal – ohne es zu wollen – gebremst habe und im nächsten Moment ein Kind auf die Straße gelaufen sei.

Wirklich gebannt lauschten die Anwesenden, als ein älterer Herr von einer „Bewahrung vor dem vorzeitigen Tod“ erzählte. Es war im Januar 1944, als er als 16-Jähriger im Bunker im Humboldthain zusammen mit anderen Kindern Schutz gesucht hatte. Während bei einer Explosion eines selbst gebastelten Radios mit einem Flugzeugteil ein Jugendlicher wenige Zentimeter neben ihm getötet wurde, überlebte er unverletzt. Erst habe er gedacht, dass „Gottes Hand es so gelenkt“ habe. Denn: „Ich habe nie ernsthaft an Engel geglaubt.“ Doch mittlerweile sei er sich nicht mehr so sicher. Oder, so fragte er, „soll man das auf sich beruhen lassen?“ Während Pfarrer Rönisch mit dem Einwand kam, „Ist es so entscheidend, wer hilft?“, lieferte der Mann selbst die wohl beste Antwort: „Das wird man nicht lösen können.“B. BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA