„Die Prinzessin ist da!“

Seit Jahrzehnten hält Marianne Fürstin zu Sayn-Wittgenstein-Sayn das Leben ihrer Familie und der Gesellschaft fotografisch fest. Jetzt stellt sie ihre Bilder in Berlin aus

Interview REINHARD KRAUSE

Fürstin, ist dies Ihre erste Ausstellung?

Ich habe schon gelegentlich meine Kinderportraits gezeigt. Aber meine anderen Fotos noch nie.

Wer hatte die Idee dazu?

Beate Wedekind hatte mein Buch gesehen und wollte eine Ausstellung mit mir machen. Dann kam sie für eine Woche zu mir nach Fuschl und hat Seite für Seite meine ganz alten Alben durchgeblättert. Und dann sagte sie: Du, ich brauche die Negative. Na also, das war zu viel verlangt. Negative von vor dem Krieg! Ab 1950 habe ich alles geordnet, jedes von diesen hunderttausend Negativen kann man so rausziehen. Aber vor dem Krieg! Aber ich hatte noch eine Kiste, da steht drauf „ganz alte Negative“. Fünfzig Jahre hatte ich die nicht mehr aufgemacht. Gut, wir machen sie auf: Schön geordnet, Jahr für Jahr, waren da die Negative. Bis auf fünf haben wir alle Negative gefunden.

Was für ein Archivsystem haben Sie denn für Ihre Negative?

Ein ganz primitives! Im Computerzeitalter können alle nur über mich lachen. Ich habe so Bürokästen mit Laden vorne dran. Da steht dann „1950“ drauf, „1951“ und so weiter. Vom Fotolabor bekomme ich pro Film neun Negativstreifen in Zellophan. Da schreibe ich zu jeder Negativnummer genau das Datum und das Thema drauf. Und jeden Film fasse ich mit einer Büroklammer und einer Vignette zusammen. Es ist unendlich viel Arbeit. Wenn ich auch nur einen Monat Fotos und Negative bloß in eine Kiste werfe, bin ich verloren.

Sehr diszipliniert!

Ich lasse immer gleich zwei Abzüge machen. Ein Abzug geht sofort in mein Fotoalbum, und den anderen schicke ich mit einem Dankesbrief an die Person, die mich eingeladen hat oder die ich getroffen habe.

In Fuschl haben Sie einen Raum nur für Ihre 260 Fotoalben. Ihr Ausstoß an Fotos muss enorm sein.

Für dieses Jahr habe ich gerade den Band sieben angefangen.

Wo lassen Sie überhaupt arbeiten?

In New York fahre ich immer zu einem Schnelllabor in der 18. Straße. Seit dreißig Jahren verbringe ich den November in Mid Manhattan, im wunderbaren Townhouse von Gunter Sachs. Da nehme ich die Subway. Ich ziehe Handschuhe über, damit an den Fingern nichts glitzert. In der 23. Straße muss ich raus, dann gehe ich ein paar Blocks zu Fuß. Was ist das immer eine Freude, wenn ich ins Fotolabor komme! Die jetzt zahnlose Mary, die alte Negerin, die längst in Pension ist, aber immer noch aushilft, kommt mit schrillen Schreien durch den Laden gelaufen: „The princess is here!“ Und dann kommt Samir, der Muslim, der mir immer die Abzüge macht. Ich kann es unmöglich übers Herz bringen, zu einem Fotoladen in meiner Nähe zu gehen.

Haben Sie auch Ausschuss?

Ganz wenig. Es kostet ja alles so viel. Man muss schon ein wenig Acht geben, dass man nicht wild drauflosschießt. Das mache ich nie. Pro Film gibt’s vielleicht zwei oder drei Bilder, die einfach verwackelt sind oder wo jemand eine Grimasse zieht. Die tu ich sofort weg.

Ihr Buch heißt „Mamarazza“. Arbeiten Sie auch mit Teleobjektiven?

Das würde ich nie machen! Der Paparazzo steigt auf einen Baum und schaut mit Teleobjektiv ins Schlafzimmer. Eine Mamarazza ist lieb, freundlich und fragt, ob sie fotografieren darf. Es wäre ja grauenhaft peinlich, wenn mir jemand Kamera oder Film wegnähme oder mich gar rausschmeißen würde.

In den Fünfzigerjahren haben Sie in Bonner Botschaften fotografiert, wie Pingpong gespielt oder Hula-Hoop getanzt wurde. Auf neueren Fotos gibt es vor allem Keep-Smiling.

Nach der Währungsreform haben wir uns mit null und nichts tausendmal besser unterhalten. Da gab es für vierzig Leute eine Flasche grässlich sauren Wein. Den haben wir dann mit sehr viel Wasser gemischt und dazu Brote geschmiert. Einer hat Klavier gespielt, und so wurde gefeiert. Heute muss immer gleich ein riesiges Fest ausgerichtet werden. Das ist gar nicht mehr auszuhalten. Es war wohl das natürliche Gefühl nach dem Krieg: Gott sei Dank, wir haben diese schreckliche Zeit überlebt, und das Leben geht weiter.

Sie gelten als überaus diszipliniert. Aber bei Gerhard Steidl sollen Sie an ein wahres Arbeitstier geraten sein.

Beim Steidl Verlag habe ich ein halbes Jahr lang jeden Tag vierzehn Stunden mit zwei jungen Fotografen in einem Raum unterm Dach an der Gestaltung meines Buchs gearbeitet. Abends vor elf durften wir nicht weg, weil Steidl bis elf arbeitet oder noch länger. Und auch mittags durften wir nicht raus. Das kommt gar nicht in Frage, hat er gesagt. Du bleibst hier wie alle anderen auch. Da habe ich mich in einem Geschäft erkundigt: Gibt’s so was wie Instantsuppen? Jaja, hieß es, die Heiße Tasse. Dann habe ich sechs Monate mit meinen Buben Champignoncremesuppe gegessen, mit Speck aus Fuschl.

Aber sonst hatten Sie freie Hand?

Absolut. Nur eines Abends kam Steidl und fragte: Wie sieht’s aus? – Jaja, das Layout ist fast fertig. – Und wie viele Fotos hast du verwendet? – Dreitausend. – Bist du verrückt geworden? Meine Kalkulation geht nur bis Zweitausend! Du musst tausend wieder rausnehmen. – Ich habe geschrien und gebrüllt. Ausgeschlossen. Es war die Katastrophe.

Fotografieren Ihre Kinder und Enkel eigentlich auch?

Da muss ich wirklich scharf nachdenken. Doch, von meinen Enkeln machen manche hervorragende Fotos. Aber bei meinen Kindern würde ich sagen, da fotografiert keiner. Und wenn, dann sind das so Gelegenheitsfotos.

Sie werden weiterarbeiten?

Ja! Vor zwei Jahren hat mich das BMW-Magazin gefragt, ob ich in Le Mans das Autorennen fotografiere. Wahnsinnig gern. Und dann hieß es: Wir brauchen noch Ihr Geburtsdatum. Ich sage: 9. Dezember 1919. Und im gleichen Moment denke ich, um Gottes willen, gleich werden die sagen: Entschuldigung, Fürstin, das haben wir nicht gewusst, dass sie bald achtzig werden – wir brauchen jemand Jüngeres. Die schluckten zwar zweimal, aber dann haben sie gesagt: Ja, natürlich. Und wissen Sie was: Für den großen Preis von Monte Carlo im Mai bin ich auch schon wieder gebucht.

REINHARD KRAUSE, 39, ist taz.mag-Redakteur