Lass es fließen

„Ja Mann, der Scheiß ist eben frei“: Die Münchener Freestyle-Formation Main Concept spielt heute im SO 36

Auch die Friseuse von nebenan mag mittlerweile das Wort HipHop kennen und etwas damit verbinden, aber, um mal genau zu sein: Tatsächlich ist bislang nur Rap im Mainstream angekommen. Schon DJing ist für den durchschnittlichen Konsumenten ein Fremdwort, ganz zu schweigen vom Rest der heiligen HipHop-Vierfaltigkeit, dem B-Boying, also Breakdance, und dem Writing, sprich: Graffiti. Und die guten alten Human Beatboxes scheinen selbst im Underground vergessen zu sein.

Aber auch Rap kann mehr sein als ein paar im Kinderzimmer gedrechselte Reime über zurückgelehnten Beats. Rap kann Freestyle sein, freier Fluss der Worte, improvisiert und spontan, als einzige Vorgabe und Restriktion den Beat, den der DJ auflegt. Diese im Zuge der Kommerzialisierung des deutschen Rap zunehmend verdrängte Kunstform versucht nun die Münchner HipHop-Combo Main Concept zurück ins Bewusstsein zu rücken. „Plan 58“, die letzte Veröffentlichung des Trios, ist das erste reine Freestyle-Album in deutscher Sprache. Konsequenterweise wird auch auf der nun anstehenden Tournee ausschließlich frei improvisiert gerappt, ob nun von Main Concept selbst oder den Gästen wie Raptile und Blumentopf.

Main Concept, gegründet 1990, waren nicht nur über lange Jahre die Einzigen, die München auf die Rap-Landkarte brachten, sondern auch schon immer dafür bekannt, dass bei ihren Gigs mehr gefreestylt wurde als bei den meisten Kollegen. Und schließlich gilt Rapper David Pe als einer der besten Improvisationskünstler hierzulande.

Für diese Platte wurden nun über fast zwei Jahre immer wieder Sessions und Live-Auftritte mitgeschnitten und Stunden an Material gesammelt, denn – wer jemals auf einer HipHop-Jam war, weiß das – die wenigsten Freestyles sind wirklich gelungen. Tatsächlich kann man sich Freestyle nur bis zu einem gewissen Punkt mit Übung aneigenen und mancher lernt es nie, so wie die Fantastischen Vier, die das auch immer ohne zu zögern zugegeben haben.

Begabung, Talent, Intuition sind unerlässlich, Freestyle-Legenden wie Viva-Moderator MC Rene oder Samy von Dynamite Deluxe genießen deshalb eine ganz besondere Reputation. „Die Typen, die selber rappen“, rappt David Pe auf „Plan 58“ frei, aber auf den Punkt, „die können das versteh’n / und die werden nicht bei jedem Versprecher gleich madig abgeh’n / sondern die werden sagen / Ja Mann, der Scheiß ist eben frei / Und da sind eben grammatikalische Fehler einfach mit dabei.“

Natürlich kann auch der begnadetste Freestyler nicht jeden Reim aus dem Stehgreif neu erfinden, auch David Pe nicht. Also beginnt ein Track schon mal mit einer Art von Entschuldigung: „Das ist nur ein Versuch auf diesem Groove.“ Und manche Verknüpfung ist – natürlich – vorhersehbar und altbekannt, ob Gefühl auf Vinyl oder Spaß auf Gras. Mitunter aber gelingt durchaus Überraschendes, gerade weil der Verstand oft keine Chance hat, das Mundwerk zu zensieren.

Rap war, als er auf den Block Parties in der Bronx entstand, frei und improvisiert. Er sollte die Tanzenden anfeuern und auf das Publikum reagieren – war also in seiner ursprünglichen Form Freestyle. So gesehen kann man diese Tournee auch als Vortragsreihe zur Geschichte des HipHop verstehen. Eine Sicht der Dinge, die David Pe wohl gefallen dürfte. THOMAS WINKLER

Heute, 21 Uhr, SO 36, Oranienstr. 190