vorlauf: Krise in Schwarzweiß
Verzweiflung (Mo., 0.45 Uhr, ZDF)
Da sitzt sie auf der Umzugskiste, starrt an die Wand und starrt und starrt immer noch. Später geht sie in eine Bar und starrt weiter. Den fremden Mann neben ihr wird sie mit nach Hause nehmen. Als ob es sich zu zweit besser starren ließe.
Die Frau heißt Ulrike und ist gerade aus der Haft entlassen. Manchmal geht sie joggen, manchmal hüpft sie wüst zu lauter Rockmusik. Doch meistens kauert sie mit leer geräumten Blick vor dem Sofa ihres Vormieters. Egal, was sie unternimmt oder unterlässt, das freie Leben passt ihr so schlecht wie eine geborgte Hose. Und, so will es die bedeutungsschwere Inszenierung, so soll sie denn eine Gefangene bleiben. Jedes Bild, jede Geste – ein Seelenzustand. „Verzweiflung“ heißt der Film von Marcus Lauterbach.
„Du bist ja völlig kaputt“, sagt der Mann aus der Bar nachher zur Ulrike, an der Stelle, wo man normalerweise selig ermattet eine Zigarette raucht. Und die Frau starrt in die Kamera, die Kamera starrt auf die Frau. Wenn sich der Film festgestiert hat, gibt es immer eine Weißblende. Wie der Wimpernschlag eines Kühlschranks.
Auch ihr neuer Nachbar, Sigs, dient ihr anfangs als Mann fürs Grobe. „Alleine geht’s doch am besten“, merkt sie einmal spröde an, und das könnte fast lustig sein, wenn für Lauterbach Humor nicht einem Hochverrat an der geknüppelten Seele gleichkäme. Die soll hier ihresgleichen finden. Eine Liebesgeschichte muss her. Irgendwie, Hauptsache, zäh und vage. Nina Petri und Sylvester Groth leiden dezent und schlagen sich wacker in einem Plott, die die ganze Dramaturgie auf die Darsteller und ihre Mimik abwälzt.
Dabei bietet die Geschichte von Ulrike weitaus mehr Möglichkeiten. Sie wurde vergewaltigt, wird schwanger, bringt das Kind um und landet im Gefängnis, wie wir nebenbei und in einem schnörkellosen Satz von einer ehemaligen Freundin erfahren. Dass der Hintergrund nicht eleganter entrollt wird, verhindert ein Drehbuch, das sich ganz auf eine statische Bilder-Pathologie versteift. „Achtung, Krise!“, schreit es uns in Schwarzweiß entgegen. Das hat jeder nach fünf Minuten begriffen. Die übrigen 75 wünscht man sich nur, dass der Film seine Isolationshaft beendet und der armen Frau endlich ihre Geschichte zurückgibt. BIRGIT GLOMBITZA
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