Überall ist es besser

Das Leben kann nur echt sein, wenn es wie Fernsehen ist: Jessica Goldbergs „Stuck“ unter der Regie von Lukas Langhoff im Jungen Theater Göttingen

von HARTMUT KRUG

Seit zwei Jahren widmet sich das Junge Theater in Göttingen programmatisch dem postdramatischen und neupathetischen Theater. René Pollesch, Moritz von Uslar und Gesine Dankwarth sind in Göttingen erstmals auf die Bühne gelangt, Sebastian Hartmann, Inga Helfrich und Christina Emig-Könning inszenierten hier. Soap und Pop, Theater als Party oder Medienverschnitt: In Göttingen liebt man die junge Mainstream-Dramatik.

Von der Schaubühne in ihrer Lesewerkstatt Neuer Dramatik kürzlich entdeckt (ihr Stück „Fluchtpunkt“ wird im Januar von Thomas Ostermeier inszeniert), wurde nun in Göttingen erstmals ein Stück der erst 26-jährigen New Yorker Autorin Jessica Goldberg auf einer deutschen Bühne aufgeführt.

In „Stuck“, was „stecken geblieben, festsitzend“ meint, geht es um Alltagsbefindlichkeiten: um die Sehnsucht nach Spaß, Sex und Liebe. Erzählt wird eine kleine, scheinbar psychologisch-realistische Geschichte, die zugleich wie eine Montage aus Fernsehsoaps wirkt. Das wahre Leben, dargestellt auf der Bühne, kann nur echt sein, wenn es so ist wie im Fernsehen. Zwei 23-jährige Freundinnen haben es nicht geschafft, ihre Träume von einem besseren Leben zu realisieren. Weder sind sie auf die Highschool gegangen, noch haben sie in ihrem bisherigen Leben einen Sinn entdecken können.

So hängen sie herum und reden über ihre Träume. Margarita hat ein Kind, doch ihr Mann meidet sie, seitdem sie ihm von „Dingen“ erzählt hat. Sie hört ständig Geräusche im Kopf, als sei sie zwei widerstreitende Personen. Lula hat nur ihre Freundin und eine vor dem Fernsehen vor sich hin saufende Mutter. Die Mädchen arbeiten in einer Videothek – doch sie träumen vom Ausbruch. Dann lernt Margarita einen Argentinier kennen. Der Leiter einer peronistischen Jugendorganisation kauft mit dem Geld seines Vaters in der amerikanischen Provinz Fabriken auf. Dieser Romeo, der von Visionen spricht und auf die Jugend hofft, tritt in Göttingen als geschniegelter, gescheitelter Latin Lover mit Zigarillo und Tanzschrittchen auf. Natürlich verlässt er den Ort ohne Margarita.

Darauf tötet diese ihr Kind und vergräbt es auf dem Indianerfriedhof, auf dem sich die Freundinnen einst von ihren Hoffnungen erzählten. Lula hat sich Geld vom Vater einer früheren Schulkameradin geliehen, mit dem sie ein Verhältnis begonnen hat: Charlie ist ein alter Hippie und verkrachter Lebenskünstler, der aus Schrott Kunstwerke baut. Wie die saufende Mutter steht er für das Scheitern der Elterngeneration.

Als Lula vom Kindsmord erfährt, kann sie nicht mehr aufbrechen aus dem Ort in ein anderes Leben. Margarita aber wagt den Weg hinaus: Ihre Fahrkarte ist die Sehnsucht, die der Argentinier neu belebt hat, bezahlt aber hat sie mit einem Mord.

Jessica Goldbergs „Stuck“ ist ein kleines, schlicht konstruiertes, aber genaues Dialogstück. Regisseur Lukas Langhoff nimmt ihm in Göttingen leider seine authentische Kleinstadtatmosphäre schon dadurch, dass er statt Musik von Madonna lauter süffige und bedeutungsvolle Country-Songs spielen lässt. Das Leben wird bestimmt von Illusionen, die die Medien produzieren – das sagt uns die Inszenierung überdeutlich. Die Darstellerinnen der beiden Mädchen wirken nicht wie verzweifelt suchende oder auch beschädigte, neurotische Figuren, sondern sind zwei hübsche, kreuzbrave, dauerlächelnde all-American girls. Da bleibt von der Vorlage mit ihren komplexen Charakteren, den dick aufgesetzten Bedeutungen und ihrer Lakonie nicht mehr viel übrig, da bewegt Langhoff seine wenig wandlungsfähigen Schauspieler lediglich im Raum der Bühne. Das ist nicht postdramatisches, nicht neupathetisches, sondern in der reinen Bebilderung von Handlungsoberflächen hilfloses Theater.