Dortmund zeigt sein Gesicht

Neonazis marschieren, und die Polizei kesselt 600 Antifaschisten und Kinder sieben Stunden lang ein. Annelie Buntenbach: „Eine ganze Jugendszene wird kriminalisiert“

DORTMUND/MINDEN taz ■ Rund 2.000 Menschen haben am Samstag in Dortmund gegen den Aufmarsch von etwa 320 Neonazis demonstriert, der von dem Hamburger Neonazi Christian Worch organisiert wurde. Angesichts der geringen Zahl der Gegendemonstranten triumphierte der Führer der „Kameradschaft Rhein-Sieg“, Ralf Tegethoff, lautstark per Mikrofon: „Der Einsatz für die Demokratie hat schon deutlich nachgelassen.“ Tatsächlich hatten noch am 21. Oktober über 20.000 Bürger und Politprominenz wie der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement in der Revierstadt gegen rechts demonstriert.

Die Neonazis, die aus ganz Nordrhein-Westfalen angereist waren, skandierten Parolen wie „Dortmund frei und deutsch“ und „Es lebe Deutschland, es lebe das Reich“. Gleichzeitig propagierten sie den Schulterschluss mit militanten Palästinensern – und spielten damit auf den im Oktober von einem Deutschen marokkanischer Herkunft und einem staatenlosen Palästinenser verübten Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge an. „Die Fatah und die PLO kämpfen so für die Freiheit von Palästina, wie wir für die Freiheit von Deutschland kämpfen“, rief Tegethoff auf der zentralen Kundgebung der Neonazis.

Rund 50 Gegner zogen der von der Polizei hermetisch abgeriegelten Neonazi-Demonstration mit Pfiffen und „Nazis raus“-Rufen hinterher. Aus Fenstern tönte der Friedensappell Martin Luther Kings „I have a dream“, und Anwohner begleiteten den Aufzug mit Buhrufen.

Am Abend kam es in der Innenstadt zu einer Schlägerei zwischen etwa 30 Gegedemonstranten und zwei mutmaßlichen Neonazis. Rund 600 Gegendemonstranten, darunter viele Jugendliche und Kinder, wurden von der Polizei eingekesselt und zum Teil über sieben Stunden festgehalten. Der Vorwurf der Polizei: es seien Steine und Flaschen geworfen worden. Die grüne Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach, die grüne NRW-Landtagsabgeordnete Barbara Steffens und der Anmelder der Gegendemonstration des Dortmunder Bündnisses gegen rechts, Michael Kussin,bewerteten den Polizeieinsatz als „völlig unverhältnismäßig“. Buntenbach kritisierte insbesondere den harten Einsatz gegen Jugendliche und Mitglieder der Antifa: „Während Kanzler Schröder vom Aufstand der Anständigen redet, wird hier eine ganze Jugendszene kriminalisiert.“

Die eingekesselten Demonstranten mussten stundenlang im Schneeregen ausharren, nicht einmal der Gang zur Toilette war erlaubt. Die Polizei bestreitet die Vorwürfe: Unter den 595 Festgenommenen seien 210 Jugendliche, aber keine Kinder gewesen.

Zu einem rassistischen Übergriff kam es am Freitagabend in Minden. Zwei rechtsradikale Jugendliche haben zwei Schwarzafrikaner durch die Innenstadt gehetzt und leicht verletzt. Nachdem die 15 und 16 Jahre alten Neonazis ihre Opfer am Bahnhof angepöbelt und geschlagen hatten, riefen sie Parolen wie „Sieg Heil“ und zeigten den Hitlergruß. Die Schwarzafrikaner gerieten bei der Hetze in eine Sackgasse. Nur das beherzte Eingreifen einiger Passanten, die die Polizei riefen, rettete sie aus der ausweglosen Lage. Die beiden Extremisten wurden nach der Vernehmung wieder auf freien Fuß gesetzt. NADIA LEIHS/
ANDREAS WYPUTTA