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Auferstanden als Ruine

Die Nikolai-Kirche ist großteils gesichert und für die Öffentlichkeit wieder freigegeben. Für den Rest fehlt das Geld  ■ Von Gernot Knödler

Die ersten Touristen probieren es gleich aus: Etwas ratlos um sich blickend spazieren sie auf die Fläche, auf der sich einmal das Schiff der Nikolai-Kirche erhob. Seit ges-tern kann der größte Teil des als mahnende Ruine konservierten Gotteshauses wieder gefahrlos betreten werden. 20 Meter weiter donnern auf der Ost-West-Straße Autos und Laster vorbei. Als Ort, um der Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg zu gedenken, hat die Ruine ihre Tücken.

Zumal die 1846 bis 1874 errichtete neugotische Kathedrale im Krieg vergleichsweise wenig in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das Schiff sei 1943 zwar von einer Brandbombe getroffen worden und ausgebrannt, erzählt Bernhard Brüggemann, der seit 12 Jahren an der Ruine arbeitet. Doch der Turm und das Kirchenschiff standen nach wie vor. Erst 1952 seien die Mauern gesprengt worden. „Man wollte sie nicht mehr“, sagt Brüggemann fassunglos.

Klaus Harder, der das Bezirksamt Mitte als Bauherr vertritt, versucht den Ruf des Mahnmals zu retten: Von den Wohnhäusern rings um die Kirche sei nach den Bombennächten fast nichts mehr übrig gewesen. Dem Gotteshaus kam die Gemeinde abhanden. Die Kirche verzichtete auf einen Wiederaufbau. Die Pläne für eine neue City neben der Ost-West-Straße dürften dazu beigetragen haben.

Dass die Stadt 1974 damit begann, die Ruine in ein Mahnmal umzubauen, ist in den Augen Harders wie Brüggemanns ein Glücksfall. „Es ist nach wie vor ein Baudenkmal ersten Ranges“, findet Brüggemann, der über die „hervorragende Steinmetzarbeit“ ganz aus dem Häuschen gerät. Wie es sich für eine gotische Kathedrale gehört, sind ihre Reste, also im wesentlichen der Turm, mit detailscharfen Fabelwesen, Rosetten und Kreuzblumen verziert. Selbst da, wo es kein Mensch normalerweise sehen könne, sei der Turm „genauso mit Liebe gestaltet“, schwärmt Harder, „und alles zur Ehre Gottes“.

In schwindelnder Höhe, oben auf dem mit 145 Metern dritthöchs-ten Kirchturm Deutschlands, tragen selbst an unscheinbaren Stellen winzige Kobolde die Last des Mauerwerks. Brüggemanns Steinmetzen muss es, als sie das sahen, gegangen sein wie ihren Kollegen vor anderthalb Jahrhunderten: Dort, wo es was zu flicken galt und es sich anbot, fügten sie aus lauter Lust winzige eigene Skulpturen ein. Für alle sichtbar ist das Säulen-Kapitell im erhaltenen Südfenster des Kirchenschiffs. Es zeigt zwei blätterumrankte Brüste.

18 Millionen Mark hat die Stadt bisher dafür ausgegeben, bröckeliges Mauerwerk zu befestigen, den Keller abzudichten und die Wände vor dem Regen zu schützen. Die restlichen 6,3 Millionen kann die Stadt auf absehbare Zeit nicht aufbringen. Der Bauzaun auf der Ostseite soll deshalb durch eine stabilere Variante ersetzt werden.

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