: Courage, selbst finanziert
Die sächsische Staatsregierung findet Bildung gegen Rechts nicht wichtig. Daher organisiert und finanziert die DGB-Jugend Projekttage gegen Fremdenfeindlichkeit. Thierse ist Schirmherr
aus Hellerau MARINA MAI
„Habt ihr schon mal für Lohn gearbeitet?“, fragt Katja in die Runde. 3 von 24 SchülerInnen der 9. Klasse der Mittelschule Dresden-Hellerau heben die Hand. „Und – hattest du eine Lohnsteuerkarte?“, will Katja von einem der Mädchen wissen. „Nein, wegen dem bisschen Geld lohnt es sich nicht, eine Steuererklärung zu schreiben“, outet die sich als Schwarzarbeiterin.
Das ist der Moment für die 21-jährige Katja, die Jura studiert, in Hellerau heute aber Referentin für die sächsische DGB-Jugend ist. Sie zeigt auf die Aussage „Ausländer arbeiten schwarz“, die neben anderen fremdenfeindlichen Klischees an der Tafel steht. „Kann ich den Satz jetzt also auch streichen?“, fragt Katja in die Klasse, in der eine Mitschülerin Schwarzarbeit gerade als „Lappalie“ abgetan hat. Manche nicken nachdenklich. Andere schweigen. Niemand widerspricht. Ein Vorurteil weniger, zumindest an der Tafel, beim Hellerauer Projektschultag zum Thema Fremdenfeindlichkeit.
Hellerau ist ein Villenvorort der sächsischen Landeshauptstadt und die Mittelschule eine Vorzeigeeinrichtung – oder das, was man hier darunter versteht: Springerstiefel und Bomberjacken werden nicht getragen, krasse ausländerfeindliche Sprüche sind die Ausnahme, und der Schulleiter Karl Hantusch ist erleichtert, sich nur „einen rassistischen Vorfall“ an seiner Schule erinnern zu können. Doch Ausländer kennen die Schüler nur vom Italiener um die Ecke. Der, so sagt es eine Schülerin, kriegt „ein Kind nach dem anderen und holt jetzt auch noch seine Mutter zum Kinderhüten hierher“. Alle 24 Schüler in der Klasse haben einen deutschen Pass.
Die Gewerkschaftsjugend veranstaltet seit zwei Jahren die Projektschultage „Für Demokratie – Courage zeigen“. Anlass für das Projekt war der Einzug der DVU in den Landtag von Sachsen-Anhalt. „Da haben junge Leute beim DGB überlegt, was wir gegen rechte Orientierungen tun können“, erinnert sich DGB-Jugendreferent Matthias Klemm. Klemm spricht von bescheidenen Mitteln und meint damit: Die jungen Leute waren auf sich gestellt, Gelder kamen nur aus der Gewerkschaftskasse.
Die Staatsregierung von Kurt Biedenkopf (CDU) aber lehnte es ab, das Courage-Projekt zu unterstützen. Jugendminister Hans Geisler (CDU) fand noch im August im sächsischen Landtag, dass ein spezielles Programm „gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ nicht nötig sei. Dem Minister genügt es vollauf, wenn es „Begegnungsmöglichkeiten“ gibt – etwa mit ausländischen Jugendlichen, organisiert durch die deutsch-polnischen und deutsch-französischen Jugendwerke.
Den DGB und andere Jugendorganisationen hat das Desinteresse der Staastregierung gestört. Sie unterstützten die Projektschultage – unter anderem mit jenem Geld, das ihnen aus öffentlichen Mitteln für außerschulische Jugendarbeit zustand. Sie stellten Lehrmaterialien her, schickten ehrenamtlich Referenten in die Schulen und bezahlten ihnen den Aufwand.
120 so genannte TeamerInnen aus ganz Sachsen ziehen nun für lau durch die Schulen. Vorher werden die ReferentInnen, von denen die jüngste 16 und die älteste 35 ist, eine Woche lang zu Ausländerpolitik, Rechtsextremismus und Antisemitismus geschult. Das Ergebnis ist oft kaum mehr als Halbwissen. Aber auch damit lässt sich manches grobe Vorurteil aus der Schule schaffen. Plötzlich sehen die Kids zum ersten Mal, dass das Steueraufkommen, das die „Ausländer“ in Deutschland erwirtschaften, in Wirklichkeit die ausgezahlten Sozialleistungen weit übersteigt.
Mit Gleichaltrigen über rechts diskutieren
„Sinn unseres Projektes ist es gar nicht, pädagogisch geschultes Personal vor die Klassen zu stellen“, meint DGB-Jugendsekretär Klemm. „Annähernd Gleichaltrige sollen über Fremdenfeindlichkeit miteinander ins Gespräch kommen. Und wir wollen denen den Rücken stärken, die das nicht hinnehmen.“ 2 der 300 Schultage mussten der Gewerkschaftsnachwuchs wegen der Übermacht rechter Einstellungen und wegen Gewalt abbrechen. Oft genug standen die TeamerInnen kurz davor – etwa als Jurastudentin Katja merkte, dass Berufsschullehrer die verfassungsfeindlichen Symbole mancher Schüler nicht erkannten oder nicht erkennen wollten. Kein Wunder, denn in der Lehrerfortbildung des Freistaates spielt Rechtsextremismus keine Rolle. Von ihren LehrerInnen hören die Schüler selten jene die Zahlen und Fakten, mit denen die DGB-Jugend in die Klassen geht.
Den Rücken stärken sich die 120 TeamerInnen vor allem gegenseitig. Sie sind eine eingeschworene Gruppe von Linken in Sachsen, die so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit hinbekommen wollen. Weil es Spaß macht, miteinander etwas auf die Beine zu stellen, fühlen sich auch junge Leute angezogen, deren Ding es sonst nicht ist, sich einen Tag lang vor eine Klasse zu stellen. Die übernehmen dann Telefondienste im Gewerkschaftshaus oder layouten Lehrmaterialien.
Trotzdem bleiben die Ergebnisse eher bescheiden. Wenn Schüler und Lehrer in einem Projekttag erfahren, dass nicht zwischen 20 und 60 Prozent der Bewohner in Sachsen Ausländer sind, wie sie es geschätzt hatten, sondern lediglich 3,2 Prozent, dann werden sie vielleicht in Zukunft einer diffusen Furcht vor Überfremdung sachlicher gegenüberstehen. Den Rücken stärkt dem Courage-Projekt auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Er übernahm vor einem Jahr die Schirmherrschaft für das Projekt, das der Staatsregierung keinen Pfennig Zuschuss wert ist. Immerhin, Klemm hofft, „dass wir im neuen Jahr aus dem Topf der Bundesfamilienministerin Geld bekommen“.
„Ausländer stinken.“ Das steht noch an der Tafel der 9. Klasse. „Müssen wir darauf eingehen, oder können wir das als braune Gülle abtun?“, fragt Katja. Eine Schülerin murmelt etwas vom Recht auf freie Meinungsäußerung. „Dann habe auch ich dieses Recht und kann das braune Gülle nennen“, entgegnet Katja. Solche flapsigen Äußerungen einer 21-jährigen bringen SchülerInnen eher zum Nachdenken als professionelle Argumente, meint der DGB-Jugendsekretär Matthias Klemm überzeugt.
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