Weg damit ins Lied

Endlich mal wieder: Die Blumen am Arsch der Hölle zum Anhören und Angucken in der Fabrik  ■ Von Schorsch Kamerun

Sperber! nicht Schwalbe – das ist die Position. Wer's nicht weiß: Die beiden Vogelnamen bezeichnen Typen zweier Mokickmodelle der Ostmarke Simson. „Sperber! nicht Schwalbe“ heißt ein Stück auf der einzigen LP der Hamburger Punkband Blumen am Arsch der Hölle. Der Unterschied verläuft zwischen Oben und Unten – nicht zwischen Himmels- oder anderen Richtungen. Im Falle dieser vergleichbaren Fahrzeuge darf man nicht irrglauben, dass der im Naturkraftfeld sicher motzigere Sperber irgendeinen technischen Vorteil hätte. Es geht schlicht um die Symbolik: Die Schwalbe ist ein minimal schickerer Roller, das andere Teil (Sperber) klar als working-tool definiert, also einfach Moped – das ist der Schlüssel der Unterscheidung. Niemals „denen“ etwas anreichen, auch keinen kleinen Finger. Aber jetzt gar nicht so: „Ihr seid die Schweine, und ikke bin okay-underground-maloching-mäßig drauf“, sondern eher: „Lebt nur in den Häusern der Reichen und lasst mich meine Schrottgieke in Ruhe in Ottensen parken.“

Jens Rachut ist Sperberfreund und Sänger der Punkband Blumen am Arsch der Hölle. Hier dreht sich noch alles um die Haltung. Mikroskopisch in der Materialunterscheidung (weil eh freiwillig im Kleinen gehalten), warm und wärmer in der Zwischenmenschenlage – aber erbarmungslos in der Moral, was das Künstlerverpflichten angeht wie auch beim Scheideweg Independent/Major.

Weitkreisiger als bei so manchem Dogma-Königspudel. Die Herzen der Blumen sind die am weitesten offenen, die es gibt. Für so viel anderes. Für so viel Inniges. Für so viel Liebe. Für die Kinder, für die Fische oder die Seelen der Außenbordmotoren. Kollossale Erwachsene mit kollossaler Leidenschaft – in die guten und die bösen Richtungen. Das System ist eh ein Fehler. Aber lasst uns erst jammern, wenn wir auch wirklich betroffen sind. „Oma ist tot!“ O.K., das ist Scheiße. Weg mit dem Schmerz in das Lied 'rein. Aber Vorsicht: „Das hat nichts zu tun mit Kunst oder so“ (so heisst ein Fanstück meiner eigenen Band in ehrfürchtiger Ausrichtung auf Rachut-Texte).

Wenn es in dieser Region so etwas gäbe, was anderswo working class music heißt (ich meine sowas wie „gemeinsame Musik“), also ein kultureller Traktor, auf den du deine Ängste und Nöte, aber auch ruhig deine Lust raufwerfen kannst, dann wäre Jens Rachut die alleinige Stimme des Fahrers, der so ein Ding lenken könnte, heute. Rio Reiser war es zu seiner Zeit. Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle, Da-ckelblut, Kommando Sonnenmilch (in all diesen Gruppen war/ist Jens Rachut jeweils der Sänger) können einen hässlichen Kloß tief aus dem Elend rausschöpfen, ihn mit Schleim bestreichen, draufgöbeln, das triefende Unviech dann in deine Richtung katapultieren, und du wirst nicht ausweichen, nicht um Hilfe schreien, sondern es auffangen und glückslächelnd damit engtanzen, weil alle anderen Krücken der sogenannten Authentizität zu lachhaften Eventweihnachtsfeiern in einer Dotcom-Klitsche herabge-schrumpft sind. So wurde dem „Stumph“ (Track 1) ein leuchtender Zauberlack aufgelegt durch den Pinsel der Ehrlichkeit und Akzeptanz. Sogar Unterkajütenwitze sind erlaubt, aber immer mit dem Gefühl der bedingungslosen Zugehörigkeit.

Mit solchen Leuten können vermeintliche Manndinge wie Fußball, Angeln und Abschleppwagen ihr Geschlechtsmonopol verlieren. Vatter macht das schon, Mutter könnte das sonst sowieso nur wieder besser. Sex darf auch gewürzt behandelt werden, aber nur, weil „er“ nie cooler/besser/stärker oder sonst irgendwie vorne ist und trotzdem was formuliert („Er wollte nur mit ihr ins Bett gehen – doch sie wollte lieber auf den Dom gehen“).

Du kannst den Blumen alle Fragen stellen und bestimmt eine Antwort bekommen – aber keine Erklärungen. Das Paradoxon ist der Inhalt, beruhigender Ausgangs- und Zielort. Die Unendlichkeitsfrage gehört den Wissenschaftlern. Uns gehört die Philosophie. Manche Dinge haben tatsächlich im Konservativen etwas Gutes. Merkwürdigerweise gelingt es den Blumen ausgerechnet mit so etwas Vergänglichem wie dem Träger einer Subkultur (Punkmusik) etwas beständig frisch zu halten. Einfach nur, weil sie bis jetzt nichts Geileres fanden.

Inklusive allerlei Freundinnen, Kindern und Tieren spielen am 22.12. in der Fabrik zu Altona: Blumen am Arsch der Hölle. Und ich könnte mir in denselben beißen, dass ich da nicht hin kann. Alte und Alter: Du hast diese Chance, dir ein Ticket zu kaufen für eine kurze Zeit der true, hot emotions. Bitte laut stellen. Auch fett. Aber nicht „Fett MTV“.

Donnerstag, 21 Uhr, Fabrik; Supp.: Clash City Rockers