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Zum Suizid in die Schweiz

Trend der Kampnagel-Produktionen der ersten 2001-Hälfte: Interdisziplinär gewandelte Wahrnehmungsmuster ausleuchten  ■ Von Annette Stiekele

Die Theatersaison geht im neuen Jahr in die zweite Runde, die großen Häuser und ihre Intendanten werden mit frisch aufgelegten Inszenierungen weiter um ihr Publikum werben. Einer von ihnen kann gelassen seinen Abschied vorbereiten: Für Kampnagelintendant Res Bosshart ist es die letzte Spielzeit, bevor im Sommer Nachfolgerin Gordana Vnuk mit einem neu gestalteten Sommertheaterfestival startet.

Bis dahin werden noch einmal gute Bekannte der vergangenen Jahre den ehemaligen Fabrikhallen einen Abschiedsbesuch abstatten. Ein Best-of-Programm soll es nach dem Willen Bossharts jedoch nicht sein, auch keine Erfolgsbilanz, denn von Erfolg mag er angesichts der knappen Mittel des Hauses nicht sprechen. Von seinen Anfängen als alternative „Kulturfabrik“ hat sich Kampnagel lange schon entfernt, wurde unter Bosshart erst international ausgerichtetes Gastspielzentrum und zuletzt ein bedeutendes Pflaster für den gelungenen Versuch, zeitgenössische darstellende Künste neu zu definieren. Die Kontinuität in der Zusammenarbeit mit jungen Regisseuren und Choreografen prägt dann auch die zweite Hälfte der Spielzeit.

Im Januar geht es erst mal mit viel Tanz los. Vom 13. bis zum 27. Januar 2001 werden internationale Tanzcompagnien ihre neuen Produktionen im Rahmen der IndepenDance Days vorstellen. Der Trend geht zu mehr Interdisziplinarität. Vertreter dieser Richtung sind die Südafrikanerin Robyn Orlin, die Norwegerin Ingun Bjornsgaard oder der italodeutsche Franzose Marco Berrettini. Konzeptioneller arbeitet das italienische Künstlerkollektiv Kikaleri. Deutschland ist mit Maren Stracks eigenwilliger Lack-Performance vertreten.

Im Februar heißt es dann „Fertig...Los! Diplom 2001“ mit Abschlussinszenierungen der Absolventen des Studiengangs Schauspieltheaterregie. Auch hier sind bissig-ironische Themen in der Mehrheit. Falk Hocquél inszeniert in Welcome Suiside eine Reise von Selbstmordtouristen in einem Schweizer Oberklassehotel. Barbara Weber zeigt in ihrer Szenencollage Freundinnen. Ein Seminar, dass Freundinnen die einzige kontinuierliche Beziehung im Leben einer Frau sind. Weitere Arbeiten kommen von Sophia Lungwitz, Angela Richter, Sven Schütze und Patrick Becker.

Im März gibt es ein Wiedersehen mit Hans-Jörg Kapps opera silens und seiner neuen Musiktheaterdarbietung Acqua acqua acqua acqua, erneut in ungewöhnlicher Besetzung. Die Choreografin Angela Guerreiro wird nach Projekt X mit dem Namen Projekt Y den zweiten Teil ihres multimedialen Doppelprojektes vorlegen. An der Schnittstelle von Tanz, Klang und Text bewegt sich der Berliner Choreograf Jo Fabian in seinem neuen Projekt mit The Dark Side of Time. Den alten Stoff des Faust wird die junge Regisseurin Anja Gronau in einer Art Installation neu sehen.

Der April bietet mit der Amsterdamer Theatergruppe Dood Paard (Totes Pferd) dann sogar noch einen Kampnagel-Neuling. Die radikale Sprechtheatertruppe präsentiert Oscar van Woensels MedEia. Es folgen Jan Pusch mit der interdisziplinär und medial angelegten Choreografie Into the Blue, sowie der sich selbst als „Poptheaterregisseur“ inszenierende Matthias von Hartz, der sich diesmal Sybille Bergs Beziehungsroman Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot vorgenommen hat. Im Mai zeigt auch die Hamburgerin Sandra Strunz ihr neues Werk Die Tanzhalle über die Sehnsüchte und Projektionen.

Krönender Abschluss wird wie immer das Festival des Theater-nachwuchses, „Junge Hunde“ Ende Mai sein. Die Reihe der berühmten und mittlerweile etablierten Teilnehmer wird immer länger. Falk Richter, Ute Rauwald, Sandra Strunz, Nicolas Stemann und andere stellten eine neue Generation von Theatermachern vor.

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