Der Lockruf des Machbaren

Großbritannien erlaubt das Klonen embryonaler Zellen, und Kanzler Schröder nennt grundsätzliche Verbote in der Biotechnolgie schon „unrealistisch“

von MATTHIAS URBACH

Einen schlechteren Tag hätte sich Gerhard Schröder nicht aussuchen können. Von Kirchen über die CDU bis hin zu den Grünen war gestern die Empörung einhellig über den Beschluss des britischen Unterhauses, das „therapeutische Klonen“ an embryonalen Stammzellen zu erlauben. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht der Kanzler sein Plädoyer gegen „ideologische Scheuklappen“ in der Gentechnik in der Wochenzeitung Die Woche.

Da fällt es in der Hektik vielen gar nicht auf, dass Schröder sich darin zumindest abwartend über die in Großbritannien erlaubte Technik äußert. Zunächst will der Kanzler alternative Wege prüfen, zu den heiß begehrten Stammzellen zu kommen, aus denen Forscher Ersatzteile für den menschlichen Körper schmieden wollen. Erst dann solle man über eine mögliche Lockerung des Embryonenschutzgesetzes nachdenken.

An so einem Tag offenbaren sich plötzlich ganz neue Fronten: So sprechen die Grüne Fundamentalistin Hiltrut Breyer und der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, einhellig von einem „Dammbruch“ in Großbritannien. Der CDU-Parteivize Jürgen Rüttgers verlangt gar europäische Sanktionen gegen Großbritannien. Schröder soll dabei die Initiative ergreifen. Eine Forderung, die bei Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye bloß Kopfschütteln auslöst.

Ein schlechter Tag eben für den „persönlichen Beitrag“ (Heye) des Kanzlers, mit dem er sich endlich in die Gentechnikdebatte einschalten wollte. Zur „Eröffnung der Debatte“ sei der Beitrag gedacht, sagt sein Sprecher – und kann doch nicht verbergen, dass der Kanzler und seine Partei SPD hoffnungslos hinterherhinken. Seit vor einem halben Jahr Forscher den Code des menschlichen Erbguts präsentierten, füllen sich die Bücherschränke vieler Politiker mit Biologiebüchern. Anfang Dezember präsentierten die Grünen als erste ein Positionspapier. Die FDP folgte vergangene Woche, zwei Tage darauf startete die CDU ihrerseits eine parteiinterne Debatte auf einem Kongress in Berlin. Nur bei der SPD tut sich nichts. So verlegte der Kanzler eilig seinen zum Januar geplanten Beitrag vor das Weihnachtsfest.

Was man nun in der Woche lesen kann, ist zwar nicht so blind für Risiken und ethische Konflikte, wie es die Reaktionen vermuten lassen. Aber Schröder schreibt doch in einem Duktus, der inzwischen schon von den Stammzellenforschern nur zu bekannt ist. Man müsse dranbleiben bei der Genforschung, um „über die Anwendungen und Folgen dieser Techniken kompetent mitbestimmen“ zu können. Eben deshalb, so Schröder, wäre „eine Politik ideologischer Scheuklappen und grundsätzlicher Verbote nicht nur unrealistisch; sie wäre auch unverantwortlich“. Die Forschung würde dann eben ohne Deutschland vorangetrieben.

Dies bringt etwa Manfred Kock auf die Palme. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche nennt das „eine vordergründige Diskussion um wirtschaftliche Verlockungen“. Menschliches Leben dürfe nicht „für die Forschung disponibel“ gemacht werden. Rüttgers spricht gar von „postmoderner Beliebigkeit des Bundeskanzlers“. Ein Vorwurf, der gar nicht so falsch ist. „Nur wer die Welt erforscht, kann sie gestalten“, schreibt Schröder. Man müsse den Dialog suchen – „vorbehaltlos und ergebnisoffen“.

So offen ist für ihn etwa die Frage, ob befruchtete Einzellen vor der Einpflanzung in den Mutterleib auf mögliche Erbfehler untersucht und gegebenenfalls vernichtet werden dürfen. Diese so genannte Präimplantationsdiagnostik (PID), „muss diskutiert werden“. Rüttgers ist strikt dagegen. Doch seine CDU selbst ist nicht frei von „postmoderner Beliebigkeit“: Denn die CDU-Chefin Angela Merkel vertritt in diesem Fall die Linie des Kanzlers.

Die Grünen reagieren gelassener auf Schröder. Nur in zwei Punkten, hieß es gestern aus grünen Regierungskreisen, widerspreche der Kanzler der grünen Linie: Bei der PID, die Gesundheitsministerin Andrea Fischer, wie Rüttgers, schlicht weiter verbieten will. Und beim Patentschutz auf Gene, wo Schröder gestern hinter den eigenen Kabinettsbeschluss zurückfiel. Das Kabinett hatte beschlossen, das Europäische Patentrecht kritisch überprüfen und präzisieren zu wollen. Nun will sich der Kanzler nur noch „an der internationalen Debatte beteiligen“.

Der Hauptunterschied sei, sagt die grüne Abgeordnete Ulrike Höfken: „Er sagt: Wir machen es irgendwie möglich, dürfen aber die Risiken nicht vergessen – bei uns ist es umgekehrt.“ Aber in allen Fragen, betont die Grüne, gebe es „Schnittmengen“.

Bleibt die Frage, ob man sich dort trifft. Denn Schröder beschwört gar den Geist Galileo Galileis, um seine Einsicht zu äußern, dass „keine Macht der Welt der Erkenntnis Einhalt gebieten könne“. Da ist eben nichts grundsätzlich tabu. Auch nicht die Vernichtung von Embryonen.