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: Traurigster Club der Welt: Humina Pub in Lappland

Rentierwalzer

Man geht früh trinken in Äkäslompolo im Winter. Denn dunkel wird es schon um halb zwei. Ab dann kann man den Tag schon mal langsam ausklingen lassen. Und am schönsten klingt der Tag hier, hundertfünfzig Kilometer nördlich des Polarkreises, in Toivo Qvists Humina Pub aus.

Vorher war man vielleicht noch in Toivos alter Blockhütte, am anderen Ende des Lappendorfes, um am Kaminfeuer ein Rentiersahnesüppchen zu essen. Und nun macht man sich langsam auf den Weg, bei Eiseskälte und leichtem Schneefall, die dunkle Straße hinab, am hünenhaften Holzbären vorbei, den der Dorfschamane vor einigen Jahren zum Schutz vor Erd- und Schneegeistern hier aufgestellt hat, vorbei auch am zugefrorenen großen See und an einem Supermarkt, auf dessen Dach die aktuelle Temperatur aufleuchtet: -25 Grad. Bis man auf einer leichten Anhöhe den Humina Pub schon sehen kann.

Ich weiß gar nicht, wie früh man sich hier schon zum Tanzen trifft. Wann immer ich kam – und das war früh – war schon Tanzzeit. Walzertanzzeit. Und Karaokezeit. Der Wirt, mit dünnem blonden Haar, wuchtet eine überdimensionale RiesenCD nach der anderen in seinen Karaokeabspielschrank. Und immer neue Gäste reichen ihm kleine Zettel über die Theke, mit ihren Lieblingsliedern drauf. Diese Lieblingslieder sind, wenn sie von Äkäslompoloern kommen, immer sehr, sehr traurige, langsame, ruhige Lieder. Die Videos, die der immer gleiche Regisseur zu den Liedern arrangiert zu haben scheint, zeigen dunkelviolette Waldschatten mit Shilouetten nackter Frauen davor, die in diesen Wäldern einen Ausdruckstanz tanzen.

Der Sänger oder die Sängerin stehen nicht, wie bei Karaokeclubs sonst üblich, in der Mitte des Raumes auf einer ausgeleuchteten Bühne, sondern in der Eingangsecke, neben der Garderobe an der Theke im Dunklen. Manche singen allein. Manche zu zweit. Und alle singen so schön und gefühlvoll und traurig, dass man sieht, Karaoke ist ihr Leben, hier wird jeden, jeden Abend gesungen. Und die Gäste, meist jenseits der vierzig, tanzen leichtfüßig, aber ernst und mit vollkommen ausdruckslosem Gesicht, eng aneinander gedrückt, Walzer auf Walzer, Tanz auf Tanz.

Nur wenn die Touristengruppe aus Deutschland wieder mal einen Zettel beim Wirt untergebracht hat und die Beatles oder Michael Jackson gegeben werden, stehen die Stammgäste etwas betreten abseits und applaudieren höflich nach den eher unprofessionellen Auftritten der Gäste.

Am hinteren Ende des Pubs gibt es noch einen zweiten Raum, eine Art Chillout- oder besser: einen Liebesraum mit tiefen Holzdecken und kleinen weichen rentierfellgepolsterten Bänken an den Wänden. Ein Bildschirm informiert auch hier über die aktuellen Liedtexte. Aus einer Ecke beobachtet ein ausgestopftes Schneehuhn den Liebesraum. Er beobachtet nichts. Der Liebesraum bleibt leer. VOLKER WEIDERMANN