„Wir düngen kräftig“

Gespräch mit Dieter Hoeneß, Manager des Bundesligisten Hertha BSC, über das Gedeihen seines Klubs und die Wellentäler des deutschen Fußballs

Interview MATTI LIESKE

taz: Sie sind 1997 mit der Vision angetreten, Hertha BSC binnen fünf Jahren in der Bundesligaspitze zu etablieren. Das ist früher als erwartet gelungen. Wie sieht heute Ihre Vision einer Hertha 2005 aus?

Dieter Hoeneß: Wir würden gern in dieser Zeit einmal den Titel geholt und den Abstand zu Bayern München verkürzt haben. Die Bayern sind das Maß der Dinge, weil sie es als einziger Klub in der Bundesliga verstanden haben, immer oben mitzuspielen. Man muss sie nicht kopieren, aber diese Konstanz im Erfolg ist ein erstrebenswertes Ziel. Das andere Ziel ist, den Klub so zu entwickeln, dass er nachhaltig in der Champions League spielen kann.

Was muss getan werden, um dieses Niveau zu erreichen?

Wir müssen den Kader weiter entwickeln und den Nachwuchsbereich ausbauen, da sind schon die ersten Früchtlein – ich will nicht sagen, Früchtchen – zu erkennen. Darüber hinaus gilt es, eine Infrastruktur zu entwickeln, die internationalen Ansprüchen genügt. Die ganz Großen werden wir natürlich so schnell nicht einholen, dazu bedarf es einer jahrzehntelangen Tradition.

Dennoch hat Vereinspräsident Bernd Schiphorst davon gesprochen, perspektivisch der G 14, der Gruppe der wichtigsten europäischen Klubs, anzugehören.

Das ist unser Ziel. Aber nicht, weil wir unbedingt in dem Gremium sitzen möchten, sondern als Ausdruck, Anschluss an die Top-Klubs gefunden zu haben.

Sie waren kürzlich im Uefa-Cup bei Inter Mailand. Wie haben Sie sich empfangen gefühlt?

Inter Mailand hat uns mit sehr viel Respekt empfangen. Es ist uns in der kurzen Zeit schon gelungen, auf uns aufmerksam zu machen, da hat die Champions League im letzten Jahr geholfen. Es spricht sich in der Branche herum, dass hier etwas im Entstehen ist. Natürlich spielt auch die Stadt Berlin eine Rolle. Auf der anderen Seite habe ich international sowieso nicht das Problem, den nötigen Respekt entgegen gebracht zu bekommen. Ich kenne ja die meisten Leute. Allerdings: Man wird nur dann ernst genommen, wenn man vernünftig Fußball spielt. Wir dürfen also nicht vor lauter Zukunftsvisionen den Alltag vergessen.

Ihr Alltag sieht momentan so aus, dass Sie mehrfach Tabellenführer waren, die Mannschaft bei schlechteren Spielen aber trotzdem gnadenlos ausgepfiffen wird. Hat der schnelle Erfolg zu große Erwartungen geweckt?

Man ist ja nur sauer über das, was man eigentlich mag. Und dass diese Liebe zu Hertha entwickelt wird, ist mir wichtig. Aber die Erwartungen sind fast ungesund hoch. Dazu tragen auch die Medien bei. Wenn du vorne bist, wird gleich in Prozenten ausgerechnet, wie wahrscheinlich die Meisterschaft ist. Unsere Fans sind zum Teil unzufrieden, wenn man nicht jedes Spiel klar dominiert, wenn man die Tabelle nicht von oben beherrscht.

Ziemlich vermessen, oder?

Ich weiß nicht, woher dieses Selbstverständnis kommt. Gewachsen ist es nicht. Wir sollten nicht, wenn die Siege eingefahren werden, von der Meisterschaft träumen, und wenn man zweimal verliert, alles in Frage stellen. Diese Achterbahnfahrt dürfen wir nicht mit machen. Wir sind nicht der Klub, der die Bundesliga beherrscht und werden es auch in absehbarer Zeit nicht sein. Wir wollen den Abstand zu den Bayern verkürzen und uns im Wettstreit mit Dortmund, Leverkusen, Schalke, Hamburg als zweite Macht in Deutschland durchsetzen.

Wie soll das funktionieren?

Das hat auch mit einer Winner-Mentalität zu tun, die entwickelt und kultiviert werden muss. Wir müssen nicht auftreten wie die Bayern, aber in München gibt es diese Leistungskultur, die fast mit jedem Teller Suppe zu sich genommen und in der Mannschaft von Spielergeneration zu Spielergeneration weiter gegeben wird. Das ist seit dreißig Jahren wie ein roter Faden. Und das werden Sie auch bei Real Madrid sehen, bei allen großen Klubs. Diese Leistungskultur, die müssen wir auf jeden Fall haben.

Dazu benötigen Sie entsprechende Führungsspieler.

Wir müssen anfangen, diese Spielertypen auszubilden. Ein Klaus Augenthaler zum Beispiel, war ursprünglich kein Führungsspieler, sondern hat sich dazu entwickelt. Darum ist es wichtig, bestimmte Spieler langfristig an den Verein zu binden, um diese Mentalität nicht nur von außen dazu zu kaufen, sondern auch intern zu entwickeln. Man sieht ja am Beispiel Inter Mailand, es funktioniert nicht, wenn man nur kauft.

Trotzdem gehören die Mailänder Klubs immer zu den Großen, auch wenn sie auf Platz 13 oder 14 in ihrer Liga stehen. Ist nicht Renommee und wirtschaftliches Potenzial inzwischen fast wichtiger als der momentane sportliche Erfolg?

Das hängt natürlich sehr stark mit der Tradition zusammen. Inter Mailand lebt im Moment nicht vom Heute, sondern vom Gestern, und auf das Gestern können wir nicht so sehr zurück blicken. Wir müssen das Gestern heute schaffen. Wir sind aber kein Klub, der im Reagenzglas entwickelt wird und dann plötzlich fertig ist. Wir düngen ja recht kräftig, aber Entwicklung braucht Zeit.

Die ist knapp.

Die Geschwindigkeit des Aufholens wird sich verlangsamen. Wenn man eine Skala von null bis hundert hat, dann waren wir vor vier Jahren bei minus 20. Jetzt sind wir vielleicht bei plus 50. Das heißt, dass wir noch sehr, sehr viel zu tun haben.

Aber werden nicht gerade jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt im internationalen Fußball?

Ich bin sicher, dass wir in fünfzig Jahren immer noch über Hertha sprechen. Es wird nicht weiter so raketenartig nach oben gehen, aber die Entwicklung muss natürlich weiter gehen. Wenn in drei Jahren der Fernsehvertrag ausläuft, dann werden sich die Vereine möglicherweise selbst vermarkten, dann wird vielleicht Pay-per-view eine größere Rolle spielen in den Etats. Da musst du eine Marke sein und bundesweit sehr viele Fans haben, damit möglichst viele das Hertha-Spiel sehen wollen. Wenn man im Konzert der Großen mitspielen will, muss man sich positiv abgrenzen von den andern. So gesehen haben Sie schon recht. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Entwicklung in den nächsten vier, fünf Jahren Richtung Europaliga gehen wird.

Mit fester Mitgliedschaft?

Das ist nicht ausgeschlossen. Und wir müssen uns bemühen, dann dazu zu gehören.

Sie haben gesagt, es wird in der nächsten Saison wieder ein namhafter Spieler geholt.

Wir haben klare Vorstellungen, wie die Mannschaft verstärkt werden sollte, wobei man sagen muss, dass die ganz großen Kaliber für uns unerschwinglich sind. Aber wir werden versuchen, weiter Qualitätsspieler auf hohem nationalen Niveau zu holen.

Trotz der erfolgreichen Hinrunde waren die Zuschauerzahlen, bis auf das Spiel gegen Bayern, zuletzt recht schwach.

Umfragen haben ergeben, dass die Leute in erster Linie deshalb nicht ins Olympiastadion kommen, weil sie die Atmosphäre in der Umbauphase nicht anspricht. Wir werden in der Winterpause diverse PR-Maßnahmen ergreifen, um diesem Umstand zu begegnen. Die beste Marketingmaßnahme ist allerdings nach wie vor erfolgreicher und attraktiver Fußball.

Wird denn wenigstens das umgebaute Stadion, wenn es fertig ist, den Ansprüchen eines Spitzenklubs genügen.

Nachdem fest stand, dass die politischen Kräfte keinen Neubau, sondern einen Umbau wollen, habe ich immer gesagt, wir brauchen die beste zweitbeste Lösung. Wir werden kein Fußballstadion haben, aber ein sehr schönes Leichtathletikstadion, das auch gut für Fußballspiele zu nutzen ist.

Wäre es denkbar, dass Hertha doch langfristig ein eigenes Stadion baut und zu diesem Zweck vielleicht an die Börse geht.

Wenn wir das vorhätten, dann bräuchten wir uns jetzt diese Tortur nicht anzutun. Dann hätten wir uns gleich gegen einen Umbau sträuben müssen.

Wir hatten nach der EM sehr turbulente Zeiten mit der Affäre Daum und der Bundestrainer-Diskussion. Wie viel Porzellan ist da zerschlagen worden?

Die Affäre war, wenn man die richtigen Schlüsse daraus zieht, vielleicht sogar hilfreich. Wir haben gelernt, dass wir wissen müssen, was aus bestimmten Geschichten gemacht wird. Gerade, wenn es an die Substanz geht, ist es wichtig, dass man nicht vor lauter Geschäft gewachsene Verbindungen aufs Spiel setzt.

Hätte man nicht die ganze Bundestrainersache geschickter anpacken können?

Fakt ist, dass die Sache in erster Linie auch dadurch entstanden ist, dass ein Vakuum an der Führungsspitze des DFB existiert. Gerade in der Phase auf dem Weg zur Europameisterschaft und in der Zeit danach hat man vier, fünf Monate Zeit vergeben. Wie ich das sehe, war klar, egal, wie die deutsche Mannschaft abschneidet, wird es einen neuen Bundestrainer geben nach der Europameisterschaft. Diese Nachfolge ist nicht behandelt worden. Wenn man gewusst hätte, wie es weiter geht, dann wäre die EM auch nicht so deprimierend gewesen.

Christoph Daum hat inzwischen um mehr Fairness im Umgang mit ihm gebeten. Glauben Sie, dass er noch eine Zukunft in der Bundesliga hat?

Ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass Christoph Daum eines Tages wieder in der Bundesliga auftauchen wird, aber ich glaube auch, dass er dieses Thema dafür anders aufarbeiten muss. Bisher, mit diesen Haarproben in Amerika, ist das der falsche Stil.

Ihre Sucht war bis vor kurzem das Rauchen. Schon als Spieler?

Angefangen habe ich beim VfB Stuttgart. Da habe ich jeden Tag drei Zigaretten geraucht. Beim FC Bayern sind es ein paar mehr geworden. Ein Mönch war ich als Spieler nie und habe auch ganz gern ein Glas Wein getrunken. Aber wenn es mal nicht so lief, habe ich diese Dinge weggelassen.

Sehen Sie „diese Dinge“ als Manager auch so locker?

Das gehört ebenfalls zu dieser Leistungskultur. Wenn einer jeden Tag nur Wasser trinkt, nur all das tut, was man darf, dann ist da wenig Freude. Man muss es auch mal krachen lassen, aber man muss wissen, wann es geht. Und wenn man mal Gas gegeben hat, muss am nächsten Tag beim Training die Bereitschaft umso größer sein. Dieses Gespür ist der neuen Generation so ein bissel abhanden gekommen. Das merke ich auch auf dem Platz. Das taktische Gespür, wie muss ich laufen, das muss heute alles trainiert werden. Da glaube ich, dass das früher instinktiver passiert ist, weil die Leute eben Straßenfußballer waren.

Zu Ihrer aktiven Zeit als Spieler haben Sie mal gesagt, dass Sie nach Ihrer Karriere gern eine Kleinkunstkneipe mit Galerie eröffnen würden. Was ist schief gelaufen?

Die Karriere läuft ja noch. (lacht) Nein, ich habe schon gemeint, dass ich auch eine andere, kreative Seite von mir verwirklichen möchte. Eines Tages werde ich auch diesen Bereich noch ausleben.