vier aus der zwischenzeit
: Wie die Feiertage in Westdeutschland waren

Out of Mannheim

Weihnachten bedeutet für mich, Mannheim zu besuchen. Mannheim ist eine Industriestadt mit einem großen Minderwertigkeitskomplex. Das geht bei Eltern los, die sich dafür entschuldigen, hierher gezogen zu sein, setzt sich im Stadtbild mit Großbaustellen für zu teuer geratene Hochhausprojekte fort und findet in der allgegenwärtigen sperrigen Kunst im öffentlichen Raum längst kein Ende. Die Luft riecht nach den Schwefelabgasen des lokalen Arbeitgebers BASF, und die Stadtzeitung wirbt für ein Peter-Maffay-Konzert im Juni.

Dabei ist Mannheim eine tolle Stadt. Die schmutzigen 60er-Jahre-Wohnblocks strahlen eine angenehme Normalität aus, genauso wie die holzgetäfelten Eingänge zu den Sexbars in der Innenstadt, der schwere Geruch der Schokoladenfabrik „Schokinag“ oder Hannelore Kohl in der Fußgängerzone.

Frisch berentete Eltern scheinen zu Weihnachten noch zappeliger als sonst zu sein. Ein Theaterbesuch kann zwar ein lustiges Gespräch über Erlebnisse mit ungewaschenen Frauen im Aufzug provozieren. Doch das hält nicht lange vor.

Mit einer Fahrt in die nahe gelegene Naturlandschaft Pfalz versuche ich daher, dem Aufeinandersitzen in überheizten Räumen zu entgehen. Die Pfälzer Dörfer wirken an Weihnachten noch enger als sonst. Bauern fahren in Bundeswehrkampfanzügen mit roten Gesichtern auf ihren Treckern von der nächtlichen Eistraubenlese nach Hause. An der Hauswand einer von Italienern betriebenen Gaststätte steht: „Bet und arbeit – sei nicht faul, zahle Steuern und halt’s Maul.“

Wieder zu Hause, versuche ich meiner Mutter vergeblich ein E-Mail-Programm zu erklären. Sie ist „aus Datenschutzgründen“ gegen Internet. Um mich aufzuheitern, zeigt mein Vater mir einen Spruch aus einem Witzebuch: „Wer Hundefleisch isst, braucht sich nicht zu wundern, wenn der Magen knurrt.“ Ich bin glücklich, dass ich zur Selbstvergewisserung ein Funktelefon habe. Die SMS-Nachrichten, die ich in diesen Tagen von Freunden bekomme, sind schön: „MUTTER SUCHT SCHLÜSSEL, VATER WERKELT MIT BOHRMASCHINE AN DER TANNE; OMA QUENGELT; ICH ESSE DOMINOSTEINE.“

Unser Raclette-Essen an Heiligabend dauert sehr lange, weil der Grill versehentlich nur auf Warmhaltefunktion gestellt war. Schließlich essen alle den Inhalt ihrer Pfännchen roh.

Einen Tag später freue ich mich, dass jemand in der Mannheimer Bahnhofsunterführung „Du Mehlhure“ an die Wand gesprüht hat. Als ich wieder im Zug sitze, denke ich wie jedes Jahr, ich hätte netter sein können. Zu Weihnachten bekam ich einen Besteckkasten geschenkt.

KIRSTEN KÜPPERS