„Nach mir die Schlammflut“

Große Krisen unserer Zeit. Heute: Die Männerfreundschaft – das Ende ist nahe

Im Gesundheitsministerium wurde ein Krisenstab gebildet, der die Ursachen ermitteln soll

Es begann relativ harmlos, wie schwere Krankheiten immer beginnen, bevor sie dann nach dem „Inkubationszeit“ genannten Versteckspiel ausbrechen und sich zu ganzer Grässlichkeit entfalten. Am Anfang stand die Trennung zwischen Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Als die Beziehung der beiden auseinander ging, dachten noch viele, das sei alles andere als ein Alarmzeichen, die hätten sich eh nie verstanden. Doch das stimmte schon damals nicht ganz. Gerhard und Oskar hatten sich echt gern, und wer sich die Bilder in Erinnerung ruft, die beide lachend auf dem Spaziergang mit ihren jeweiligen Frauen zeigen, der ahnt die Dimension der Tragödie, die sich zugetragen hatte: das Ende einer Männerfreundschaft. Das Aus, die Katastrophe. Lafontaine ist seitdem völlig von der Bildfläche verschwunden, lässt sich nicht mehr blicken – und Schröder? Ja, wo soll der denn hin?

Damals dachte, wie gesagt, kaum jemand daran, dass dies der Beginn einer Krise sein sollte, die uns alle in Mitleidenschaft ziehen wird. Dabei ließ das nächste „Symptom“ nicht lange auf sich warten. Kein Jahr war ins Land gegangen, da kündigte Wolfgang Schäuble aus heiterem Himmel Helmut Kohl die Männerfreundschaft auf. Angeblich deshalb, weil Kohl die Namen seiner Sponsoren nicht preisgeben wollte – als ob Schäuble die nicht hätte ebenso gut aufsagen können! „Mir scheint, ich habe in meinem Leben schon zu viel Zeit mit dir zusammen verbracht“, sollen Wolfgangs letzte Worte gewesen sein, bevor er sich aus Helmuts Büro trollte. Seitdem hassen sich die beiden, die gemeinsamen Jahre sind Essig, und es wird nicht einmal mehr gegrüßt auf dem Fraktionsflur!

Wiederum kaum zwölf Monde später brach eine weitere gestandene Männerfreundschaft auseinander wie ein altes Klosett: die zwischen Christoph Daum und Rainer Calmund. Jahrelang hatten die beiden zusammen eine Linie nach der anderen gezogen, Frauentausch im Puff gepflegt und sich am „Morgen danach“ mit Aspirin ausgeholfen. Und plötzlich Funkstille. Daum düst – „nach mir die Schlammflut“ – ab, lässt eine Haarprobe zurück, und Calmund kann sehen, wie er damit klarkommt.

Ist das Aus für drei Männerfreundschaften in so kurzer Folge ein Zufall? Nicht wenn man bedenkt, dass Männerfreundschaften sonst ewig halten und für gewöhnlich lediglich durch Hinschied eines Partners abreißen. Amtliche Kreise wurden aufmerksam, etwas musste getan werden. Im Gesundheitsministerium wurde ein Krisenstab gebildet, der die Ursachen ermitteln und ein Sofortprogramm zum Erhalt der Männerfreundschaft ausarbeiten soll.

Handelte es sich nämlich um eine Krankheit, eine Epidemie, dann musste so schnell wie möglich der Erreger gefunden werden. Standardverursacher für menschliches Unglück wie Sonnenprotuberanzen, Erderwärmung und Quecksilber im Bier schieden, nach sorgfältiger Prüfung, aus. Blut- und Bodenproben wurden genommen, ausländische Männerfreundschaften bei der Einreise nach Deutschland einem Schnelltest unterzogen. Eine Zeitlang erwog man sogar die Notschlachtung sämtlicher Männer, die das Alter von 30 Jahren überschritten haben. Das von Varus & Hermann, Schiller & Locke und Modern & Talking begründete weltweite Ansehen der deutschen Männerfreundschaft stand auf dem Spiel, mit unabsehbaren Folgen auch für die deutsche Exportwirtschaft. Man denke nur an Heckler & Koch, an Krauss & Maffei und, selbstverständlich, an Siegfried & Roy.

Die schließlich anberaumte Zählung noch halbwegs funktionierender Männerfreundschaften in Deutschland ergab eine Zahl zwischen fünf und sieben. Damit war klar, dass diese deutsche Gattungsspezifik aus eigener Kraft nicht würde fortbestehen können. Die wenigen Restbeziehungen – unter ihnen Heiner Lauterbach und Heinz Hönig, Joseph Fischer und Daniel Cohn-Bendit, Günter Grass und Manfred Bissinger – wurden sofort unter Schutz gestellt, Psychologen stehen für den Fall der Fälle rund um die Uhr bereit.

Unterdessen haben in deutschen Gen-Laboratorien erste Experimente mit geklonten und sozusagen naturidentischen Männerfreundschaften begonnen – mit ernüchterndem Ergebnis, wie das Beispiel der beiden unlängst aus einem einem Versuchscontainer bei Köln entwichenen „Schafe“ Zlatko und Jürgen zeigt. Die beiden heißgelaufenen Nullnummern sollen dem Vernehmen nach „wg. Kinderkrankheiten“ bald wieder abgeschaltet werden. RAYK WIELAND