Slobo vor den Kadi

Die Mehrheit der Serben will, dass Expräsident Slobodan Milošević der Prozess gemacht wird, das aber zu Hause

BELGRAD taz ■ Als ob nichts geschehen wäre, erschien Slobodan Milošević kurz nach dem serbischen Volksaufstand im Oktober im Fernsehen und erklärte, er sei erleichtert, nicht mehr den riesigen Ballast der Verantwortung für Serbien tragen zu müssen.

Und als ob er seinen Weg nicht mit Toten und Flüchtlingen gepflastert hätte, ging Milošević mit Gattin Mira am 23. Dezember zur Urne, um für seine „Sozialistische Partei Serbiens“ zu stimmen. Als ob er nach 13 Jahren Herrschaft nicht einen verarmten Mafiastaat hinterlassen hätte, lebt Milošević immer noch im Belgrader Nobelviertel Dedinje.

„Milošević muss für alles, was er getan hat, zur Verantwortung gezogen werden, und das wird bald geschehen“, erklärte Zoran Djindjić, der neue Ministerpräsident. Aber es sei nicht die Aufgabe seiner Regierung, Milošević noch sonst wen zu verhaften, sondern Bedingungen zu schaffen, unter denen eine unabhängige Staatsanwaltschaft und politisch unantastbare Gerichte in einem reformierten Rechtssystem funktionieren können. Die meisten Serben sind gegen eine Auslieferung von Milošević an das Haager Kriegsverbrechertribunal. Sie wollen den verhassten Exherrscher in einem serbischen Gefängnis sehen. Der jugoslawische Außenminister Goran Svilanović erklärte, dass Jugoslawiens Verfassung die Auslieferung eigener Staatsbürger nicht vorsehe, schloss jedoch diesbezügliche Änderungen nicht aus.

Jugoslawiens Parlamentspräsident Dragoljub Micunović will sich dafür einsetzen, dass Milošević zuerst für die Straftaten gegen das eigene Land und Volk der Prozess gemacht werden soll. Sollte man Beweise finden, die ihn mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Zusammenhang bringen, müsse das Haager Tribunal einbezogen werden. Milošević kann nicht glauben, dass ihm ein Prozess gemacht werden könnte. Entweder weil er den Kontakt zur Wirklichkeit ganz verloren hat oder weil er weiß, dass gegen ihn keine Beweise vorliegen. ANDREJ IVANJI

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