Krieg auf der Insel der Entführer

Vor drei Monaten wurden die Jolo-Geiseln freigekauft. Das philippinische Militär begann einen Feldzug auf der Insel. Das interessiert niemanden mehr

von JUTTA LIETSCH

Der Korruptionsskandal um Präsident Joseph Estrada und sein drohender Sturz überschatten derzeit alle anderen Nachrichten von den Philippinen. Völlig in den Hintergrund geraten wäre beinahe auch der Krieg, der seit Herbst im Süden des Landes wütet – wenn nicht eine böse Behauptung des Spiegel Aufsehen erregt hätte: Estrada, sein Chefunterhändler Roberto Aventajado und Armeechef Angelo Reyes sollen einen dicken Batzen des Lösegelds für sich abgezweigt haben, das im Sommer für den Freikauf von Geiseln auf der Insel Jolo geflossen war. Damals, so heißt es, sind rund 15 Millionen Dollar gezahlt worden.

Die Vorwürfe beruhen auf vom deutschen Geheimdienst abgehörten Telefongesprächen zwischen Unterhändler Aventajado und einem Anführer der „Abu Sayyaf“-Kidnappertruppe. Alle drei Politiker wiesen die Anschuldigungen empört zurück. Der „Rat der Bangsa Moro“, wie sich die Vertretung der muslimischen Minderheit in der südphilippinischen Provinz Mindanao nennt, fordert dagegen, die Regierung müsse offenlegen, was während der Verhandlungen mit den Kidnappern vereinbart worden und wie viel Geld geflossen sei.

Zuvor hatte Aventajado einen illustren Zeugen zu seiner Verteidigung aufgeboten: den Chef der Kidnappertruppe höchstpersönlich, Ghalib Andang, alias „Commander Robot“. Dieser soll sich bereit erklärt haben, den Präsidenten und die Unterhändler zu entlasten. Bedingung: Das Militär müsse ihm Straffreiheit zusichern.

Das teilweise absurde Spektakel ist ein treffliches Beispiel für die Rätsel der philippinischen Innenpolitik: Seit über drei Monaten jagt die Armee auf der kleinen Insel Jolo vergeblich „Commander Robot“ und seine Kumpane, die im April 21 Urlauber und Angestellte von der malaysischen Taucherinsel Sipadan entführt hatten.

Niemand weiß bislang, wie viele Menschen der Militäroffensive zum Opfer fielen. Denn seitdem die letzten westlichen Geiseln auf Jolo freikamen, dringen kaum noch Nachrichten von der Insel. Am 16. September hatte der Präsident den Abu Sayyaf den Krieg erklärt. Seither bombardierten Soldaten Dörfer und Dschungelgebiete auf Jolo und Basilan, in denen sie Stützpunkte der Abu Sayyaf vermuteten. Bürgerrechtler fürchten, dass Soldaten ebenso wie Abu Sayyaf bei diesem Krieg im Verborgenen ungestraft morden, vergewaltigen und plündern.

Auch in anderen Regionen Mindanaos kämpft die Regierung gegen muslimische Rebellen: Anders als die Abu Sayyaf gilt die „Moro Islamic Liberation Front“ (MILF) jedoch als eine politisch ernst zu nehmende Organisation, die zeitweise über mehr als zehntausend Kämpfer kommandierte und 46 Guerillacamps errichtete.

Wie in anderen unruhigen Regionen Südostasiens geht es auch im Süden der Philippinen nur vordergründig um religiöse Motive. Hinter den Auseinandersetzungen stecken auch handfeste wirtschaftliche Gründe: Die Insel Mindanao, einst als „verheißenes Land“ gepriesen, gehört zu den reichsten Gegenden des Landes, die Einwohner exportieren Fische, Früchte, Kokosnüsse und Reis.

Doch wohlhabend sind nur wenige der traditionell ansässigen Muslime. Reich wurden die –meist katholischen – Zuwanderer aus dem Norden, die Manila großzügig mit Landrechten bedachte. Gegen aufsässige Bauern wehrten sie sich mit Hilfe des Militärs oder eigener Privatarmeen. Riesige Plantagen sind heute in der Hand ausländischer Konzerne wie Dole und Del Monte.

Mit Estradas Vorgänger, Fidel Ramos, hatte die größte muslimische Widerstandsorganisation in Mindanao, die „Moro National Liberation Front“ (MNLF),1996 ein Friedensabkommen geschlossen. Darin hatte Manila den Muslimen Entwicklungshilfe, mehr politische Eigenständigkeit und einen größeren Anteil an den Erträgen der Provinz versprochen.

Doch in der Praxis geschah wenig. Seit Estrada das Land führt, haben sich die Beziehungen zur Zentralregierung wieder verschlechtert. Ein Ende des vergessenen Krieges im Süden der Philippinen ist nicht in Sicht.