Bloß nicht so viele Doktoren

HOCHSCHULEN IN DER KRISE (5): Die Leistungen von Studierenden und Professoren müssen stärker kontrolliert werden. Dies wäre der Abschied von der Massenuniversität

Das größte Problemeiner leistungsorientierten Hochschule: die wissenschaftliche Pluralität zu sichern

Die Hochschulen werden – quer durch alle Lager – als „Massenuniversitäten“ beschimpft, aber über Wege aus der Krise herrscht keine Einigkeit. Die einen wollen mehr Effektivität durch Leistungskontrollen und Differenzierung erreichen. Die anderen fürchten, dass eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von Universitäten und Studierenden entsteht, wenn die meisten nur ein berufsbezogenes Kurzstudium absolvieren und nur wenige ein wissenschaftliches Doktorandenstudium durchlaufen. Dadurch werde langfristig auch die Gesellschaft gespalten, wie man dies im angelsächsischen Ausland (Großbritannien und USA) beobachten kann. Dort sind die Unterschiede zwischen Vollakademikern und anderen Erwerbstätigen nicht nur bei der Bildung, sondern auch bei Einkommen und Einfluss weit größer als in Deutschland.

Weiterhin wird befürchtet, dass Leistungskontrollen („Evaluation“) von Hochschullehrern den Mainstream der Forschung begünstigen würden. Außenseiter hätten keine Chancen mehr, was die gesellschaftliche Relevanz der Wissenschaften verringern würde. Schaut man genauer hin, wissen die Kritiker des „neuen Leistungsdenkens“ allerdings keinen Ausweg aus den anstrengenden Studienbedingungen, die die Massenuniversität bietet.

Wenn Hochschullehrer über Hochschulen schreiben, sollten sie klarstellen, dass sie in der Regel nicht „die“ Hochschule kennen, sondern nur ihre Disziplin und angrenzende Fächer. Dieser Beitrag beschäftigt sich deswegen nur mit den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, die der Autor beide aus eigener Lehr- und Forschungstätigkeit sowie aus Sicht der universitären Selbstverwaltung kennt.

Durch Bachelor- und Master-Studiengänge, wie sie insbesondere im angelsächsischen Ausland üblich sind, kann das Studium verkürzt werden. Die Absolventen könnten schneller in die Erwerbstätig- und Selbstständigkeit wechseln. Aber auch jene, die ein Promotionsstudium anschließen, könnten früher ihr Doktorandenstudium beginnen und also deutlich eher als heute in der Forschung Spitzenleistungen erbringen.

Ein kurzes Bachelor-Studium erlaubt sogar den Luxus, ein sozial- oder geisteswissenschaftliches Fach ohne berufliche Verwertungsabsicht zu studieren, da man hinterher noch jung genug ist, „on the job“ in einem Unternehmen ausgebildet zu werden. Ein derartiger Studienabschluss dient den Unternehmen nur noch als Signal für grundsätzliche Leistungsfähigkeit.

Würde nur noch ein kleiner Teil der Studenten im Promotionsstudium eine akademisch anspruchsvolle Ausbildung bekommen, wäre der Unterschied übrigens gar nicht so groß. Bereits heute erhalten Hilfskräfte eine bessere Ausbildung als andere Studenten. (Allerdings gibt es auf Grund der vielen Drittmittelprojekte bereits heute mehr Hilfskraftstellen als wirklich exzellente, für die Forschung geeignete Studenten.)

Ein reguläres Promotionsstudium hätte nicht nur den Vorteil, dass die methodischen Grundlagen besser vermittelt werden könnten, sondern die Doktoranden würden auch der viel beschworenen Abhängigkeit von ihren Doktorvätern und -müttern weitgehend entkommen, da das Promotionsstudium von der Fakultät (oder gar mehreren Fakultäten) getragen wird.

Allerdings hätte eine leistungsorientierte Hochschule nicht nur Vorteile. Ihr größtes Problem wäre, wie sich die wissenschaftliche Pluralität sichern ließe. Denn bei einer zentralen Evaluation von Hochschullehrern und Fachbereichen besteht die Gefahr, dass ein einziges theoretisches Paradigma dominiert (zum Beispiel die Annahme der Rational Choice bzw. die neoklassische Ökonomie). Alle großen Fortschritte der Wissenschaften wurden von Außenseitern erbracht – so waren zum Beispiel in den 70er-Jahren die heute dominierenden empirisch orientierten Sozialwissenschaftler gegenüber dem marxistisch geprägten Mainstream in der Außenseiterposition. Es lohnt sich deswegen, viel Energie in die Diskussion und Ausgestaltung von Evaluationssystemen zu stecken.

Eine damit verwandte Sorge ist allerdings unbegründet: Ein „verschultes“ Studium und Leistungskontrollen der Hochschullehrer werden nicht dazu führen, dass die kulturelle Szene in Deutschland ausdörrt, wie manche Sozialwissenschaftler fürchten. Kultur hat viel mit Meinungen und Werturteilen zu tun, die in der Wissenschaft ohnehin nichts zu suchen haben. Kultur braucht deswegen keine verbeamteten Universitätsprofessoren als Resonanzboden, sondern sie sind im Feuilleton und auf der Meinungsseite der taz viel besser aufgehoben. Wenn man Feuilletonisten als Hochschullehrer ökonomisch absichern will (was durchaus sinnvoll sein kann), dann sollte man dies an Kunsthochschulen tun, aber nicht an Universitäten, die der Wissenschaft dienen.

Bereits heute erhalten studentischeHilfskräfte einebessere Ausbildung als andere Studenten

Um nicht missverstanden zu werden, sei explizit gesagt, dass hier nicht einer monoparadigmatischen Sozial- und Wirtschaftswissenschaft das Wort geredet wird. Im Gegenteil: Verschiedene theoretische und methodische Ansätze sind notwendig, wenn man Daten dazu bringen will, ihre ganze Geschichte zu erzählen. Und es wird auch nichts gegen systematische Literatur- und Musikwissenschaft an Universitäten eingewandt. Es wird nur dagegen argumentiert, dass unter dem Qualitätssiegel der „akademischen Freiheit“ persönliche Werturteile – etwa in Form von „Gesellschaftsentwürfen“ von „Vordenkern“ – als gut geprüfte wissenschaftliche Tatsachen ausgegeben werden.

Mehr Leistungsdenken und -kontrolle in den Universitäten muss – was ebenfalls etliche befürchten – nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft führen. Die zu Recht beklagte Zweiteilung der angelsächsischen Gesellschaften in oben und unten beginnt nicht erst auf der Universität, sondern bereits in der Vorschule. In den USA und Großbritannien gibt es große qualitative Unterschiede zwischen Schulen und zwischen Kindergärten. Wer frühzeitig in seine Kinder „investieren“ kann, bietet ihnen weit bessere Lebens- und Einkommenschancen als andere Eltern. In Deutschland ist dies (noch) nicht der Fall, weil die Qualitätsunterschiede zwischen Vorschuleinrichtungen und Schulen relativ gering sind. Bedenklich ist freilich der steigende Anteil von Privatschülern, der in allgemeinbildenden Schulen bei über sechs Prozent liegt.

Aufbauend auf einem sehr guten öffentlich finanzierten Vorschul- und Schulwesen, das es in der Bundesrepublik Deutschland zu stärken gilt, braucht man nicht die Befürchtung zu hegen, dass eine stärkere Differenzierung und eine größere Effektivität der Universitäten zu einer neuen „Klassengesellschaft“ führt. GERT G. WAGNER