Endlich rollt die Sparwutwelle

von MATTHIAS URBACH

In diesen Tagen geht mancher Autofahrer noch einmal freiwillig in die Fahrschule. Ingrid Brand gehört dazu. Sie hat sich auf eine Aktion ihrer Regionalzeitung gemeldet. Ein paar Stunden ist sie ein „Eco-Drive-Training“ gefahren – und ist begeistert. Unter der Anleitung des Fahrlehrers hat sie gelernt, früh hochzuschalten, die Reifen prall aufzupumpen und an der Ampel auch mal den Motor abzuschalten, wenn es länger als 20 Sekunden dauert. Nach der Schulung brauchte sie nur noch 9,7 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Zuvor waren es 11,9 gewesen. „Toll, was man da sparen kann“, sagt Brand begeistert. „Was habe ich bislang für Benzin vergeudet!“

Diese Frage stellen sich seit einiger Zeit immer mehr Deutsche. Schon wird wieder angeschnauzt, wer im Auto zu viel Gas gibt oder zu Hause seine Lampen brennen lässt. Da mag die Ökosteuer noch so unbeliebt sein: Energiesparen ist en vogue.

Seit Anfang Dezember bereitet die CDU ihre neue Kampagne gegen die Ökosteuer vor. Kaum wiederholte die grüne Fraktionschefin Kerstin Müller Anfang der Woche in der Bild altbekannte Positionen zur Ökosteuer, heult CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer schon wieder auf wie ein Dieselmotor beim Kaltstart: Müller habe den Bezug zur Realität verloren, sei eine „Totengräberin der Spediteure“ und so weiter. Denn am Montag, den 1. Januar, tritt die dritte Stufe der Ökosteuer in Kraft. Benzin und Diesel werden um sechs Pfennig teurer werden (plus ein Pfennig Mehrwertsteuer), Strom um einen halben Pfennig. Und dann will die CDU wieder punkten auf einem der wenigen Felder, wo ihr das noch gelingt. Seit Monatsbeginn werden Journalisten täglich per Fax mit einem Kalenderspruch aus der CDU-Parteizentrale beglückt à la „Nicht ein, nicht zwei, nicht drei, nicht vier – nein: sieben Pfennig mehr zahl'n wir.“

Auf der anderen Seite formieren sich die Befürworter: Der SPD-Fraktionsvorstand verteilte vor Weihnachten eine Argumentationshilfe an seine Abgeordneten, unter dem Motto „Lieber Öko als Opec“. In der Weihnachtspause sollen sie „wichtige Multiplikatoren“ in ihren Wahlkreisen bitten, sich für die Ökosteuer einzusetzen. Finanzminister Eichel hat für zwei Millionen eine Werbekampagne aufgelegt, und die Umweltverbände brachten eine Pro-Ökosteuer-Zeitung im Stile der Bild heraus, Titelstory: „Öko-Männer besser beim Sex“.

Ab Januar soll sie wieder rollen, die neue „Benzin-Wutwelle“ der Opposition. Doch die Chancen stehen schlecht: Kurz vor Jahreswechsel purzelte der Rohölpreis wieder auf unter 24 Dollar – nach bis zu 36 Dollar im Sommer. Auch der Euro erholt sich. So kostet der Liter Normalbenzin im Bundesdurchschnitt nur noch um die 1,90 Mark. Das sind 25 Pfennig weniger als im September. Und gerade mal fünf Pfennig teurer als vor einem Jahr. Obwohl seitdem ja die zweite Ökosteuerstufe in Kraft trat und den Sprit um sieben Pfennig teurer machte.

Trotzdem werden auch dieses Mal wieder CDU-Parteichefin Angela Merkel und FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle kräftig polemisieren. Denn noch immer ist eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Ökosteuer. Wieder wird die Opposition behaupten, die Ökosteuer sei weder „öko“ noch „logisch“. Sie diene lediglich dem „Abschröpfen“ – von einem Lenkungseffekt könne keine Rede sein.

Von wegen. Zwar lässt sich das abschließend noch nicht beurteilen. Doch gibt es gleich mehrere, wenn auch kleine Anzeichen, dass der ökologische Effekt bereits einsetzt. So ging dieses Jahr nach Zahlen des Mineralölwirtschaftsverbandes die Fahrleistung von Pkws mit Ottomotor aufgrund der hohen Ölpreise um drei Prozent zurück. Der Verkauf an Otto-Kraftstoff ging sogar um vier Prozent zurück. Für den öffentlichen Nahverkehr rechnet der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) mit einem Fahrgastzuwachs von 1,3 Prozent. Dies liege neben den hohen Spritpreisen auch an einem verbesserten Angebot, erklärt VDV-Präsident Dieter Ludwig. Der Verband der Mitfahrzentralen berichtet bundesweit gar von einem Zuwachs von 25 Prozent an Vermittlungen in diesem Jahr.

Natürlich ist nur schwer herauszurechnen, was davon jeweils auf die hohen Rohölpreise zurückzuführen ist und was auf die Ökosteuer. Doch die bisher zwölf plus zwei Pfennig Ökosteuer haben ihren Anteil daran.

Nirgendwo wird der Lenkungseffekt so deutlich wie beim Autokauf. Um mehr als drei Prozent hat der Spritverbrauch der neu zugelassenen Wagen seit Einführung der Ökosteuer abgenommen – die Autofahrer weichen vor allem auf Sprit sparende Dieselmotoren aus. Mehr als 30 Prozent der neu zugelassenen Pkws im Jahr 2000 fahren mit Dieselsprit. Vor der Einführung der Ökosteuer im Frühjahr 1999 waren es gerade mal 18 Prozent.

Und ihr Anteil steigt weiter rasant. Im September machten die Dieselautos bereits 34,6 Prozent der Neuzulassungen aus, im November 35,5. Und der Spritverbrauch der zugelassenen Diesel ging seit 1998 Prozent zurück. Die Autohersteller haben den Trend erkannt. Nachdem in den vergangenen Jahren eher Dynamik und Design im Vordergrund der Werbung standen, war es in diesem Jahr eindeutig der Verbrauch. Volkswagen warb im Fernsehen mit einem Lupo-Fahrer, dem zur Füllung seines Tankes die paar Tropfen ausreichen, die andere im Zapfhahn zurückgelassen haben. Mitsubishi präsentierte in Zeitungsanzeigen als „Unsere Antwort auf die Ökosteuer“ Sprit sparende Benziner mit Einspritztechnik. Und Opel wirbt im Fernsehen mit seinen Dieseln unter dem Motto: „Opel statt Opec“.

Energiesparen ist wieder ein Thema – auch für die Konzerne. VW-Chef Ferdinand Piëch kündigte im September medienwirksam an, noch vor 2003 in einem 1-Liter-Prototyp fahren zu wollen. Ein Jahr zuvor hatte er noch abwiegelnd ausgeführt, es lohne sich nicht, in die Serienfertigung eines 2-Liter-Autos einzusteigen. Noch immer ist eine Empörung über die hohen Preise zu spüren, aber mehr und mehr gewöhnen sich die Deutschen daran, denken übers Energiesparen nach. „Ich habe jede Empörungswelle hautnah miterlebt“, berichtet etwa der Abgeordnete Reinhard Loske, der für die Grünen die Federführung bei der Ökosteuer hat und schon über 100 Podiumsdiskussionen bestritt. „Im Herbst stand erstmals die Frage im Vordergrund, wie spare ich Energie – und nicht mehr: Wie kriege ich die Ökosteuer weg.“

Nicht nur beim ADAC häufen sich Leserbriefe mit Anfragen zum Spritsparen. Selbst das Fußball-Magazin kicker widmete sich dieser Frage – und kam auf seiner Motorsport-Seite zum Ergebnis, dass der „feminine Gasfuß“ zwölf Prozent weniger Sprit verbrauche als der männliche. Spritsparen als Partythema.

Diesen Trend spüren eben auch die Autohersteller. „Die Kunden erwarten schon“, sagt Volkswagen-Sprecher Harald Fletscher, „dass die neuen Modelle jeweils weniger Benzin verbrauchen als die alten.“

Natürlich ist das kein Ergebnis der Ökosteuer allein. Ihre zarten Erhöhungsschritte, die vom Kanzler eher auf Schonung, denn auf mutige Signale angelegt wurden, wirkten nicht annähernd so eindringlich wie der plötzlich Preissprung um 25 Pfennig, den die Opec in Sommer und Herbst auslöste. Doch sie bringen eben jene Stetigkeit in die Angelegenheit, die nötig ist, um wirklich ein Umsteuern einzuleiten. Dies wird jetzt umso deutlicher, wo die Rohölpreise schon wieder kräftig sinken. „Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, ob der Benzinpreis um 6 oder 16 Pfennig im Jahr steigt“, urteilt daher Danyel Reiche von der Forschungsstelle Umweltpolitik an der Freien Universität Berlin. „Die Psychologie spielt eine große Rolle.“

Insofern gebührt Angela Merkel und der CDU eigentlich großer Dank von Seiten der Umweltschützer. Ihre Angstkampagnen haben den Bürgern den Eindruck vermittelt, die Ökosteuer ziehe uns das letzte Hemd aus. Im Herbst verdrängte das Thema „Energie/Benzin“ kurzfristig sogar den Aspekt „Arbeitsplätze“ von Platz eins der deutschen Themenhitliste – zum ersten Mal seit sieben Jahren war den Deutschen ein anderes Thema als ihre Jobs am wichtigsten erschienen. So fördert die ehemalige Umweltministerin ganz subversiv selbst den Lenkungseffekt. Auch hält sie das Thema am Kochen. Daher wird die Ökosteuer wahrscheinlich ökologisch erfolgreicher als erhofft. Ein schwacher Trost allerdings für SPD und Grüne, die das Thema immer noch Stimmen kostet. Wenn auch nicht mehr in so großem Ausmaß wie zu Beginn der Anti-Ökosteuer-Kampagnen.

Um zu beurteilen, was die Ökosteuer wirklich bringt, ist es aber noch zu früh. Erneuerungszyklen in der Industrie brauchen bis zu 14, 15 Jahre, ein Auto wird im Schnitt elf Jahre gefahren. Viele Wirkungen der Steuer sind noch gar nicht genau abzuschätzen. Doch erste wissenschaftliche Modellrechnungen stimmen das Umweltbundesamt (UBA) optimistisch. Zehn Millionen Tonnen weniger jährlichen Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid im Jahr hat die Bundesregierung bis 2005 durch die Ökosteuer angepeilt. Dies werde „in jedem Fall erreicht“, prognostiziert Andreas Burger, Ökosteuerexperte des UBA.

Neben den ersten positiven Anzeichen gibt es auch erste Fehlsteuerungen. Der Anstieg der Dieselfahrzeuge bringt nicht nur weniger Verbrauch, sondern leider auch mehr Schadstoffe. Anders als Peugeot haben nämlich die deutschen Hersteller noch immer keine Partikelfilter eingebaut, die die Krebs erregenden Rußpartikel zurückhalten.

Sicher wird es noch weitere unangenehme Überraschungen geben: Dafür sorgen schon die vielen Ausnahmeregelungen, die Rot-Grün unter dem Lobbydruck ins Ökosteuer-Gesetz schreiben musste. Aber unterm Strich ist klar: Die Ökosteuer mag nicht überall „logisch“ sein – „öko“ ist sie allemal.