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Im Namen der Distinktion

Zieht euch bloß warm an! Ulf Poschardt startet mit seinem Buch „Cool“ einen Großangriff auf die gesamte abendländische Kulturgeschichte und erläutert die Strategien der Coolness mit Platon und Hegel, aber auch mit Joy Divison und Michael Mann

von TOBIAS RAPP

Vielleicht gibt es Ulf Poschardt ja gar nicht. Vielleicht ist der gut aussehende junge Mann, der seine Nächte im Berliner Pogoclub verbringt, nur der Darsteller eines Schreib- und Rechercheprogramms, das, unabhängig von menschlichem Zugriff, mit maschineller Kälte Bücher zu den Themen der Zeit erstellen kann.

Ein Programm, das sich zur öffentlichen Präsentation dieser Bücher des ehemaligen Chefredakteurs des Magazins der Süddeutschen Zeitung bedient, da eine gewisse Form von menschlicher Wärme, von human-authentizitistischer Glaubwürdigkeit noch immer nötig ist, um diese Bücher dann auch an den Mann oder die Frau zu bringen.

Dieses Programm kann man sich etwa so vorstellen: Es hat Zugriff auf die meisten Datenbanken der europäischen und US-amerikanischen Kulturgeschichte, und bei den Suchdurchläufen zu bestimmten Stichworten ist es in der Lage, komplizierte Stichwortverkettungen zur Anwendung zu bringen. Die Verkettung „Kältemetapher + Musik + Philosophie + Literatur + Kunst + Film + Popkultur“ wird am Anfang von „Cool“ gestanden haben, und als sich das Fenster „Zeitraum“ öffnete, dürfte „427 v. Chr.“ eingegeben worden sein, denn mit Platons Sokrates fängt alles an.

Die Grundthese von „Cool“ ist denkbar einfach: Unsere Kultur gefriert, anstelle der heimeliger Wärme der Innenwelten tritt die Kälte der glatten Oberflächen, und um damit klarzukommen, muss das Individuum Strategien entwickeln, sich selbst einzufrieren, um in dieser Eiswelt überleben zu können. Im Zeitalter der Globalisierung des Kapitalismus wird also zu einem Massenphänomen, was seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nur Lebenspraxis kleiner Gruppen an den Rändern der westlichen Gesellschaft gewesen ist: Coolness.

Das kann man ja erst mal glauben. Zumal es der potenziellen Leserschaft wahrscheinlich nicht schlecht in den Kram passt, das eigene Tun und Lassen plus der dazugehörigen Traditionslinien zu einer Frage von Wohl oder Wehe der gesamten Menschheit vergrößert zu bekommen. Auch wenn die globale Klimaerwärmung gerade zum Abschmelzen der Polkappen führt und uns ein warmes und feuchtes Jahrhundert bevorsteht.

Allein: Der Großangriff, den das Buch auf 440 Seiten auf die gesamte abendländische Kulturgeschichte unternimmt, schlägt die These ohnehin tot. Denn entweder war der Konflikt zwischen Wärme und Kälte schon immer eine Metapher für ein allgemein-menschliches Problem: Dann kann man sich die Grundthese des Buchs schenken, dass ausgerechnet heute alles immer noch kälter wird. Oder er war es nicht, und Coolness ist ein Phänomen der Moderne: Dann kann man aber auf weite Teile der Erörterungen verzichten.

Dieser Grundwiderspruch, der das ganze Buch durchzieht, wäre vielleicht zu verschmerzen, gäbe es ein Autorensubjekt, das den Text zusammenhalten würde. So ist es aber nicht, stoisch spult das Programm sein Pensum ab. In „Cool“ geht es um alles und nichts. Man schlage das Buch an einer beliebigen Stelle auf, etwa Seite 60. Es geht um die Geburt des „Cool“: „Markant ist in den meisten bürgerlichen Gesellschaften nach dem zweiten Weltkrieg vor allem die Statik dieser Dynamik: Die Innovation der Gesellschaft in latenten oder manifesten Reformen umkreist immer wieder neu alte Selbstbeschreibungen.“

So geht das das ganze Buch durch. Dynamik, Statik, latent, manifest, alt, neu, Jacke, Hose, Kraut, Rüben: Alles eins. Nur hot sollte es möglichst nicht sein. Und das betrifft nicht nur den Stil. Auch sonst ist das Vorgehen von „Cool“ – vorsichtig formuliert – eher assoziativ.

Da geht es in einem Kapitel von Shelleys Frankenstein und Descartes über Gilbert & George und Electric Boogie zu den Werbekampagnen von Diesel. Wenn das Rechercheprogramm genug Material zu einem Thema ausspuckt, sind die Kapitel sogar recht interessant: Immer dann, wenn etwas detailliert untersucht wird, wenn eine bestimmte ästhetische Unterabteilung des „Cool“ der genauen Analyse unterzogen wird, etwa die Filme von Michael Mann oder die Musik von Joy Division.

Oder wenn es um Objekte des Alltag und die Kälte geht, etwa um Kühlschranke oder Sonnenbrillen. Eine gewisse Vorliebe für Andy Warhol und seine Wunschvorstellung einer Existenz als Ware, dann noch mehr Vorlieben für Adorno, Deleuze und immer wieder Hegel.

Wie schon in „DJ-Culture“ ist das ganze Buch von der Vorstellung durchzogen, am Ende der Geschichte zu leben; von der Idee, alle kulturellen Formationen der vergangenen zweieinhalbtausend Jahre seien nichts als Probeläufe für die Gegenwart gewesen. Probeläufe, die allerdings noch mit Hoffnungen und Illusionen behaftet gewesen seien, die man sich heute nicht mehr machen könne.

Wenn es Mitte der Achtziger in Diedrichsens „Sexbeat“ noch hieß, „Gibt es eigentlich etwas, das uns alle zusammenhält? [...] O ja. Wir sind cool.“ Und dieses „Wir“ als ästhetisch-politisches Subjekt gedacht war, so heißt es hier nur noch: „Als Erprober aktiver Anpassungsprozesse sind die Vertreter des ‚Cool‘ weitgehend systemfunktional, auch wenn diese Rollenzuschreibung ihrer Selbstwahrnehmung als Rebellen entgegenstehen mag.“

Zwar bezieht sich auch Poschardt auf die Geburt des Cool durch Marcus Garvey und die von ihm geprägte Parole „Keep cool“ als Verhaltensmaxime, um als Schwarzer in einer von Weißen dominierten Welt überleben zu können, bis die Verhältnisse sich geändert hätten. Heute bleibe aber nichts übrig, als alle Hoffnungen fahren zu lassen – Gentechnologie! Houellebecq! Spektakel! –, ja, mehr noch, all diese Versuche seien Mitschuld an dem Schlamassel, in dem wir heute stecken: „Die Ahnen des ‚Cool‘ und ihre ersten Helden (sind) mitverantwortlich für das Ausmaß der Entfremdung, auf das die Enkel heute reagieren müssen.“

Was tun? Sich warm anziehen? Auf das Abschmelzen der Polkappen warten? Wir können beruhigt sein. Das Ende der Geschichte gibt es nicht. Poschardts mit der Kühle eines Schreibprogramms vorgetragene Kälte-Compilation folgt selbst der ganz alten Coolness-Strategie der Distinktion: Sei illusionsloser und schlauer als der Rest, und man wird dir glauben, und wenn nicht, dann wird man dich zumindest fürchten. Ersteres kann man, zweiteres braucht man nicht.

Ulf Poschardt: „Cool“. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2000, 438 S., 55 DM

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