Ironie in der Hölle

Wilfried Ohms nimmt „Abschied vom Spiegelbild“ – aber naturgemäß nicht vom großen Vorbild Thomas Bernhard

Das Leben ist schrecklich und für österreichische Übertreibungskünstler ein gefundenes Fressen: Der Zwillingsbruder Christian hat sich in Afrika umgebracht. Jetzt muss der Überlebende sich vom vertrauten, bekämpften und vermiedenen Spiegelbild trennen, die Scherben sammeln, Erinnerungssplitter im rissigen Selbstgespräch vor die Augen des Lesers treten lassen. „Abschied vom Spiegelbild“: eine Erzählung, die vor sich hinmurmelt, in sich hineinnuschelt. Das Schlimmste ist schon am Anfang bekannt, der Rest ist Rückschau, triste Stimmung.

Viele Topoi der österreichischen Antiheimatliteratur, wie sie Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und Werner Schwab geprägt haben, werden von Wilfried Ohms anzitiert: die Familienhölle, die Provinzhölle, die Österreich- und Existenzhölle, aus der es – naturgemäß – kein Entrinnen gibt. Auch nicht die Liebe, auch nicht die Ehen und Affären, auch nicht den Alkohol, der als Schnaps oder Wein oder Bier den Weg ebnet ins nächste Bordell, ins kurze Vergessen.

Nebenbei wird der Konflikt von Vernunft und Verfließen, Rausch und Kontrolle, Sprüngen und spiralförmig sich wiederholender Lebensfarce abgehandelt, von Stürzen, die sich konsequent ins diffus Bodenlose schrauben.

Hektische Betriebsamkeit zwischen Existenzneugründungen und Pleite, Musikstudium, väterlichem Verbot, Trotz und Resignation; das ist nichts Neues, aber streckenweise sehr präzise erzählt. Nur manchmal sind die Bilder zu sehr geballt: „Stein um Stein baute er an seinem Gefängnis und stieß sich den Kopf an dessen Mauern blutig. Die blinde Zerstörungswut, die in ihm raste (...)“ – „blutig“ und „blind“ und „raste“: Das ist wahrhaft expressionistischer Furor.

Ohms, 1960 in Graz geboren, lebt nach mehreren Auslandsaufenthalten in Wien. Wie schon in „Kaltenberg – Ein Abstieg“ ist die Nähe zu Thomas Bernhard offenbar, treibt er die Klischees vom unheilbar Unglücklichen auf die Spitze. Übertreibung der Rettung, Ironie als Frucht der Ausweglosigkeit. Wer über die zerrüttete österreichische Seele etwas erfahren, die strenge Konstruktion von Katastrophen miterleben will, der wappnet sich mit dieser Erzählung gegen lichte Hochsommerstimmungen. Und weiß, dass das Leben nur halb so schlimm ist.

Und manchmal nur halb so lustig und viel, viel schlimmer.

MARKUS EPHA

Wilfried Ohms: „Abschied vom Spiegelbild“. C. H. Beck Verlag, München 2000, 125 Seiten, 29,80 DM