Studieren im Hotel namens Kuba

Zwei US-amerikanische Universitäten organisieren einen Austausch mit dem sozialistischen Kuba. Die 40 StudentInnen kommen in der Regel ohne politische Ambitionen nach Havanna: Für sie ist es das letzte Abenteuer, bevor der Job sie holt

aus Havanna LENNART LABERENZ

Sie nennen es nach einer MTV-Sendung „the real world“. Sie suchen, sagen sie, immer noch nach den Kameras. Studierende aus den USA, die sich nach einem eher flüchtigen Vorbereitungstreffen in Toronto auf den kurzen Flug in die „andere Realität“ gemacht haben. Diese andere Welt ist Kuba. Kuba, die immer noch von einer Variante mehr oder weniger sozialistischen Lebens und Arbeitens überzeugte Insel; Kuba, die „reife Frucht“, der man nur noch in die richtige Richtung fallen helfen müsse, wie es zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem Weißen Haus tönte. Dieses störrische Kuba und seine jahrzehntelange Wehrhaftigkeit gegen die Übergriffe aus den Vereinigten Staaten, wird seit kurzem zur „real world“, für ein paar StudentInnen aus den USA. Es gibt einen ersten offiziellen Studienaustausch zwischen den USA und Kuba.

„Du kannst dir die Reaktion meiner Eltern nicht vorstellen, als ich ihnen von meinem Auslandssemester erzählt habe. Sie sind völlig ausgeflippt.“ Noch immer fällt es Glenn Osten Andersons Eltern schwer zu begreifen, warum ihr Sohn ausgerechnet Kuba als Auslandssemester gewählt hat. Glenns Vater war während des Vietnamkrieges zeitweilig als Marineoffizier in Guantanamo Bay. Der US-Stützpunkt auf dem südöstlichen Zipfel Kubas ist die einzige dauerhafte Militärbasis, welche die USA in einem als feindlich eingestuften Staat unterhalten.

Jedes Telefonat mit Glenns Eltern beginnt mit Witzen über Hungersnöte im Kommunismus. Nicht ohne Stolz erzählt Glenn, dass er der erste Student seit der Gründung der University of Pennsylvania – einer der teuersten Universitäten der USA – sei, der in Kuba studiert. „Sie haben eine extra Versicherungspolice für mich abgeschlossen, aus Angst vielleicht meine Semestergebühren nicht zu bekommen.“

Politischer Nichtfaktor

Glenn zahlt für ein Semester mehr, als die meisten KubanerInnen mit regulärer Arbeit in ihrem Leben jemals verdienen können. Er hält Kennedy für einen Revolutionär. „Ich betrachte mich als politischer Nichtfaktor und eigentlich habe ich mehr darauf geachtet, recht schnell wieder in New York sein zu können, als dass ich irgendwelche politische Beziehungen zu Kuba hatte.“ Glenns Planungen richteten sich eher an familiären Problemen und konkretem Studieninteresse aus, als dass sie von irgendwelchen politischen Interessen, Präferenzen oder gar Revolutionsromantiken geprägt waren. Er studiert lateinamerikanische Literatur.

Die Kneipen in der Altstadt von Havanna, surfen und ein Wochenende am Strand herumzuhängen ist für ihn ein Teil seines Lebensbegriffs, und so gerät Kuba für ihn – trotz Sozialismus – zu einem überschaubaren Ausbruch aus der Normalität. „Ich bin einundzwanzig. Das hier ist mein letztes ‚Hurra‘, bevor ich die Uni abschließe und arbeite.“

Die Gegenwart, so schreibt Zygmunt Bauman über den postmodernen Menschen, wird aus der Geschichte herausgelöst und zur permanenten Lebensituation, die Geschichte zu einer Anneinanderreihung von beliebigen Episoden. Zu diesen Episoden zählt für US-amerikanische Studenten neuerdings auch ein Trip nach Kuba – ganz unbelastet vom politischen System. Kuba steht der Ansturm der politischen Nichtfaktoren ins Haus.

Für Bena Venkataraman von der Brown-Universität (Rhode Island) war Kuba schnell nicht mehr nur ein offenes Experiment, dessen Evaluierung aussteht. „The real world begann für mich auch damit, dass ich festgestellt habe, dass ich ein halbes Jahr mit völlig fremden Menschen in einem Haus wohnen werde“, sagt die 21-Jährige. Das Haus entpuppte sich als palastartige Kolonialvilla im noblen Stadtteil Miramar. Doch deren Schönheit wurde bald getrübt. „Es ist ein wie ein Luxusgefängnis. Ich versuche möglichst wenig Zeit dort zu verbringen.“

Kubanern ist der Zugang beinahe generell verboten, weiblicher Besuch dagegen wird zumeist gestattet. Partys sind um Mitternacht zu Ende, die Gäste müssen nach Hause gehen. Hinzu kommt der Gruppenkoller. Ausziehen wollen die meisten dennoch nicht (es ist ihnen auch vom US-Sicherheitsministerium nicht gestattet); schließlich haben sie eine Menge Geld gezahlt, da akzeptieren die meisten auch die patriarchalische Behandlung durch das Sicherheitspersonal. Dafür gibt es die Klimaanlage in jedem Zimmer und ständig fließendes Wasser, ein Hausmädchen übernimmt die Zimmerreinigung und die Wäsche.

Bena hat Glück und eine passende Mitbewohnerin im Zimmer, bei anderen ist der Geduldsfaden längst gerissen. Sie versucht über den religiösen Kult der Santería für ihr Anthropologiestudium zu forschen. „Es ist unglaublich, einige fingen hier an herumzumäkeln, als mal der Kaffee beim Frühstück ausging.“ Hotelmentalität hat sich breit gemacht. Studienrealität als verlängerter Kulturtourismus.

Kubanische Studierende leben zu acht in den Apartments der Wohnheime, je vier teilen sich einen kleinen Schlafraum. Während KubanerInnen um sechs aufstehen, um sich nummerierte Tickets für einen Bustransfer zu besorgen, können ihre US-KommilitonInnen länger schlafen und haben in jedem Fall einen klimatisierten Kleinbus, der sie pünktlich zu ihren Seminaren bringt, zur Verfügung. Es ist nicht einfach, aus dieser Welt auszubrechen.

Dabei geht es den von der Butler-Universität/Indianapolis (Indiana) koordinierten Studierenden noch besser als denen des anderen Programms, das zeitgleich die Lizenz für den Austausch vom US-Sicherheitsministerium bekommen hatte. Auch die Willamette-Universität (Salem, Oregon) schickte zwanzig StudentInnen aus den ganzen USA nach Kuba. Die Butler-Leute belegen zwei Seminare direkt an der Uni, die aus Willamette exklusiv für sie eingerichtete Kurse ohne kubanische Kommilitonen.

Die Antiimperialistin

„Ich kann diese Leute nicht begreifen. Was wollen die hier abgesehen von einem netten Eintrag in ihre Biografie?“ Als Mitglied des Exekutivkomitees der US-Studierendenvereinigung hat Mitra Ebadolahi (20) sich Kuba ganz bewusst als Studien- und politisches Selbstfindungsziel ausgesucht. Sie studiert internationale Entwicklung und hat in ihrer Gruppe einen schwierigen Stand: Es fällt ihr schwer, darüber hinwegzusehen, dass die Spaß- und Partyfraktion unter ihren KommilitonInnen gekommen ist, um sich ihre eigenen Wahrheiten zu bestätigen. „Aus meiner Gruppe gehen einige mit Marinesoldaten aus“. Mitra hingegen nennt die Soldaten der Militärbasis Guantanamo und die US-amerikanische Vertretung auf der Insel „Besatzungstruppen der USA“.

Mitra hat vielleicht am meisten Zugang zum politischen Leben in Kuba. Als eine der wenigen hat sie sich minutiös vorbereitet und vor der Ankunft ein eigenes kleines Forschungsvorhaben auf die Beine gestellt. Sie interviewt die Bewohner eines riesigen, heruntergekommenen Wohnblocks über ihre Lebensbedingungen. Jetzt ist sie begeistert von der Nachbarschaftlichkeit, der Fürsorge und der Lockerheit der Leute. „Sie wohnen dort seit Jahren, beschweren sich nicht und schauen, wo etwas verbessert werden kann. Sie wollen nicht mal wegziehen – in L. A. würden sich die Leute schlicht umbringen“, meint Mitra. Sie selbst studiert in Los Angeles (UCLA, Kalifornien), ist Tochter iranischer Einwanderer und in einem kritischen Umfeld aufgewachsen. Als Antiimperialistin in einer antiimperialistischen Familie, wie Mitra sagt.