die stimme der kritik
: Betr.: Shampoo für Blutsuppen und Blutklöße

Die Scham des Verbrauchers

Anfang Januar ist es noch ruhig. Man hängt irgendwie noch zwischen den Jahren – trotz des ganzen Silvestergetöses. So macht man sich ein paar Gedanken. Oder besser: Die Gedanken kommen so vorbeigeschlendert. Aus dem Fernseher zum Beispiel.

Vor ein paar Tagen am Vormittag war zum Beispiel Michel aus Lönneberga im Fernseher. Der blonde Frechdachs aus dem kinderfreundlichen Schweden trieb mit lustigen Streichen seinen Vater zur Weißglut. Harmonisch und gemütlich war das anzuschauen! Allerdings auch ganz schön weit weg.

In Zeiten von BSE und Kompaktfleischersatzbratenfesttagsfetzen namens „Saitan“ – vermutlich eine sublimierte Satansbratenversion des geschmacksneutralen Leibes des Herrn – wirkten die Essgewohnheiten der Lönneberga-Familie jedenfalls befremdlich. Ständig gab es lecker Blutsuppe und auch Blutklöße, die die Mutter so vortrefflich an Festtagen zu bereiten pflegt. Zweimal kippte Michel versehentlich dem Vater Blutsuppe bzw. Blutklöße über den Kopf, der heitere Kinderfilm verwandelte sich kurz in einen krassen Trashfilm, und man guckte dann doch lieber weg.

So ändern sich die Seh- und Essgewohnheitssensibilitäten. Unwahrscheinlich, dass sich der Vater von Michel aus Lönneberga die Haare mit Crisan-Shampoo von Wella wusch, nachdem sein Haar mit Blutklößen verschmiert war.

Seit Monaten rätselt man immer wieder über die optimistische Funktionsbeschreibung des Produktes aus dem Hause „Wella“: „Crisan beseitigt Schuppen durch Kopfhaut im Gleichgewicht.“ Das Waschmittel ist „für jedes Haar“ geeignet. Zuvor war es ja so, dass sich Schuppen- bzw. Anti-Schuppen-Shampoos entweder an den unschön fettig strapazierten Ist-Zustand des Haares wandten oder den zu wünschenden Zustand imaginierten, der nach dem Gebrauch da sein sollte. Weil sich die Menschen mit Schuppen so schämten, ein Produkt für verschuppte oder in Blutsuppe getränkte Haare zu kaufen, haben sich die Shampoohersteller darauf geeinigt, einerseits den Fett- und Blutsuppe beseitigenden Charakter auf den Packungen zu annoncieren, andererseits zu schreiben, dass sich das Mittel „für jedes Haar“ eigne.

Auch ans Gemüt behaarter Menschen denken die Hersteller: Auf der B-Seite des Timotei-Shampoos stehen zum Beispiel Gedichte von Hilde Domin: „... und das Glück beißt / seinen kleinen Zahn / in mein Herz“. Diesem Glück möchte man dann doch nicht allzu nahe kommen. DETLEF KUHLBRODT