generation 14/22 von CAROLA RÖNNEBURG
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Als das greise Pärchen das Bahnhofslokal betrat, war kein Tisch mehr frei. Also gesellten sie sich zu mir. Er nahm ihr mehrere Plastiktüten ab und stellte sie zu seinen auf den Boden, dann bugsierte er seine Frau vorsichtig auf einen Stuhl. „Immer langsam“, sagte er. „Ich pass schon auf!“, krähte sie. Während er eine Tasse Kaffee für sich und „einen Auflauf für die Dame“ bestellte, zupfte sie ihre rosa Wollmütze zurecht, die sich nicht abgenommen hatte. „Ich glaube, ich möchte gar nichts essen“, sagte sie. „Doch. Du musst essen.“ Sie zog einen Flunsch. „Sie isst zu wenig“, informierte er mich, „sie wird noch magersüchtig.“ Ein bisschen dünn sah sie tatsächlich aus, die Frau an seiner Seite. Ihre Haut war nicht runzelig, sondern straff gespannt und voller Altersflecken. „Sie ist 14, ich 22“, erklärte er. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass er keinen Witz machen wollte, sondern von ihren Geburtsjahren sprach. „Nach Kassel nehmen wir noch den Zug, aber dann fahren wir Taxi.“

Die beiden wollten an diesem Tag Verwandte besuchen, erfuhr ich von ihm, einen Geburtstag feiern. Während er sprach, strahlte sie abwechselnd ihn und mich an und nickte eifrig. Dann streichelte sie seine Hand. „Ich habe dich so lieb“, flötete sie laut, „so sehr lieb!“ Er beugte sich verschwörerisch zu mir herüber: „Was sagen Sie? Sind nicht mehr viele so wie sie – in dem Alter.“

Der Kellner brachte Kaffee und Auflauf. Sie nahm drei Bissen und schob den Teller von sich fort. Schon wieder, beschwerte er sich und raufte sich das weiße Resthaar, das sei doch nicht auszuhalten. „Weißt du was, ich fahre ohne dich. Ich gebe dir Geld, und dann musst sehen, wie du allein zurechtkommst.“ Sie schaukelte fröhlich auf ihrem Sitz und zwinkerte mir zu. „Nein, das geht doch nicht. Dann sind wir ja nicht mehr zusammen!“

Das waren sie nun aber schon zwölf Jahre, sagte er. Geheiratet hätten sie nicht. „Müssen wir nicht.“ Sie pflichtete ihm bei. „Nein, das müssen wir nicht, wir lieben uns nämlich. Auch, wenn du immer mit anderen Frauen flirtest.“ Für einen Moment hatte ich Angst, gleich Zeugin eines Streits zu werden, aber ich lag falsch. „Zum Beispiel mit dieser jungen Dame“, fuhr sie fort und zwinkerte mir wieder zu, „das sehe ich ganz genau. Aber eins sage ich dir: Wenn du mit der etwas anstellst, dann will ich zugucken!“ Es war auf einmal ganz still geworden im Lokal. Die beiden bemerkten das jedoch nicht. Sie schwatzten munter weiter, freuten sich auf die Zugreise und hielten Händchen. Als er bereits die Rechnung bezahlt hatte, fiel ihm plötzlich etwas ein: „Weißt du was“, wandte er sich an seine Frau, „wir gehen nicht auf diesen Geburtstag. In Kassel gehen wir in den Puff!“

Am Nebentisch ratterte Besteck zu Boden. Der Kellner erstarrte mitten in seinem Lauf durch den Saal. Die alten Leute bekamen einen Kicheranfall. Nachdem sie sich erholt hatten, standen sie umständlich auf, sammelten ihre Tüten ein und verabschiedeten sich: „Schöne Reise“, wünschte er. „Wiedersehen! Wiedersehen!“, tirilierte sie fröhlich.

Alles Gute.