: Sei doch mal unverkrampft, Kreativer!
Kampagnen für kluge Köpfe? Sebastian Turner, derzeit Vorsitzender des Art Directors Club und Mastermind bei der Agentur Scholz & Friends, hat ein Buch über seinen Erfolg geschrieben – ein Manifest gegen allzu schlichte Werbung
Zwei israelische Wissenschaftler haben kürzlich bewiesen, dass Computer oft die bessere Werbung machen. Dazu fütterten sie die Rechner mit einer Reihe simpler Bildmotive und deren symbolischer Bedeutungen plus einem Algorithmus, wie sie sich kombinieren lassen. Dann ließen sie sie anhand einer konkreten Aufgabenstellung gegen echte Werber antreten und die Resultate von einer Jury begutachten. Ergebnis: Die Computer schnitten in der Regel besser ab als die Kreativen.
Aber was heißt „besser“ im Kontext von Werbung? Aus Sicht der Werbekunden, die letztlich das Sagen haben, ist gute Werbung natürlich eine, die viele Produkte verkauft. Punkt. Ihnen ist egal, ob sie kreativ oder intelligent gemacht ist, ob das Publikum gelangweilt oder genervt ist. Deshalb bevorzugen sie solche Werbung, wie sie der Computer fabriziert: Zur Marke passende Schlüsselbilder – oder auch „Key visuals“ – werden mit hoher Frequenz und minimaler Variation so lange als Spot oder Anzeigenmotiv geschaltet, bis auch der Letzte sie kennt. Das funktioniert auf Nummer Sicher. Deshalb ist Werbung – zumal die deutsche – so nervtötend.
Aber nicht nur fürs Publikum, auch für die Kreativen in den Agenturen, deren originellste Entwürfe meist abgeschmettert werden, ist die Situation frustrierend. So frustrierend, dass ihr exponiertester Vertreter Sebastian Turner, Vorsitzender des Art Directors Club und Chef der Agentur Scholz & Friends, Berlin, nun ein Manifest gegen allzu schlichte Werbung vorgelegt hat. „Spring!“ heißt das hübsch im Schwimmbaddesign durchgestylte Buch in typischer werberscher Doppeldeutigkeit. Zunächst verbirgt sich dahinter die Aufforderung, die durchgängig das Buch durchzieht, sich mehr zu trauen – „in der größten Not ist der Mittelweg der Tod“, heißt es an einer Stelle.
Turner, der vor zehn Jahren in Dresden sein Handwerk lernte, erkennt hinter der einfallslosen „Schweinebauchwerbung“, wie er es nennt, die nahe liegende Gefahr eines Teufelskreises. Der hohe Werbedruck – täglich ist der durchschnittliche Europäer 2.000 bis 3.000 Werbebotschaften ausgesetzt – erhöht den inneren Widerstand beim Publikum, als Reaktion darauf muss die Penetranz eines einzelnen Motives abermals erhöht werden. Tatsächlich nimmt die Aufnahmebereitschaft für Werbung stetig ab. Anstatt einfach nur die Dosis zu erhöhen, lautet Turners Credo, könne kreative Werbung Abhilfe schaffen. Nicht alle kreative Werbung verkaufe auch gut, aber zunehmend gelte: Kreative Werbung ist auch – siehe oben – gute Werbung.
Nur, wie geht kreative Werbung? Immer nur nach England zu verweisen, hilft auch nicht weiter. In zwanzig einfachen Regeln erläutert er, was er darunter versteht, und führt Beispiele an – nicht wenige aus der eigenen Kreation, versteht sich. 45 Prozent der Deutschen, erfahren wir an anderer Stelle, würde Werbung am liebsten gesetzlich einschränken. Würden Turners 20 Regeln in Gesetze gegossen, so scheint es, könnte das enervierte Publikum aufatmen: „Machen Sie keine Werbung, sondern etwas Interessantes“, heißt es da, oder: „Probieren Sie Humor.“ Allein, in den Niederungen der Praxis hilft einem das kaum weiter, zumal Turners letzte Regel – originell paradox, nun ja – lautet: „Misstraue allen Regeln!“
Schaut man dann auf die Beispiele, von denen durchaus viele originell, einige geradezu verblüffend sind, erhärtet sich der Verdacht, es gebe tatsächlich nur eine Regel für eine gute Kampagne: Sie muss so sein, wie die Werbung für die FAZ, die etwa ein Viertel der Buchstrecke ausmacht und nicht von ungefähr aus dem Hause Scholz & Friends, Berlin, stammt. Zugegeben, die Kampagne hat einiges für sich, auch wenn Georg Seeßlen in konkret kürzlich den unfreiwillig decouvrierenden Charakter eben dieser Kampagne herausgearbeitet hat. Aber es ist eben auch nur eine Kampagne für ein privilegiertes Produkt, die dankbar alle die Turner’schen Regeln befolgt. So ist das Buch in vielen Punkten so hermetisch wie die FAZ und die FAZ-Kampagne. Wenngleich äußerlich originell verpackt, ist und bleibt es Werbung – Eigenwerbung.
Dazu passt auch jene zweite, schwächere Konnotation, die im Titel „Spring!“ mitschwingt und sich vom Englischen herleitet: die Hoffnung auf einen deutschen Werbefrühling. Sie nährt sich daraus, dass viele Hamburger, Düsseldorfer und Frankfurter Agenturen ihre kreativen Ableger in der Hauptstadt einrichten. Schon wittert Agenturchef Jürgen Scholz in seinem Nachwort zu „Spring!“ gar eine „Berliner Schule“, die sich dann auch scheinbar nur noch mit dem notorischen politischen Vokabular fassen lässt: „Einfallsreich und unverkrampft – das könnte die Berliner Schule sein. Man wird einmal von der Berliner Schule sprechen und sagen, da begann die deutsche Werbung Weltklasse zu werden.“
Die Geburt der Unverkrampftheit aus dem Geist der Berliner Republik? Remy von Matt, der kürzlich einen Ableger an der Spree gegründet hat, pflichtet im Tagesspiegel-Interview bei: „Der Berliner Stil wird krawallig sein.“ Wenn es ernst gemeint ist und tatsächlich am krawalligen Berliner Werbewesen die Weltwerbung genesen soll, erscheint die Frage angebracht, ob Werbung aus dem Computer nicht doch das kleinere von zwei Übeln wäre. HOLM FRIEBE
Sebastian Turner: „Spring! – das Geheimnis erfolgreicher Werbung“. Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2000, 398 Seiten, 89 DM
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