Stockholms EU-Trumpfkarte

Die schwedische Außenministerin Anna Lindh ist populär und bekannt für selbstständiges Auftreten

Die schwedische Außenministerin Anna Lindh ist von der Stockholmer Tageszeitung Expressen zum „Regierungskometen“ des Jahres 2000 ernannt worden. Bei der Frage, zu welchem Mitglied in Ministerpräsident Göran Perssons Kabinett die SchwedInnen das größte Vertrauen haben, gewann sie unangefochten. In der Popularität kann sie sich locker mit dem Regierungschef messen und gilt im Moment als selbstverständliche Nachfolgekandidatin für den Fall, dass dessen Regierungssessel frei wird.

Mit der Übernahme der EU-Präsidentschaft durch Schweden dürfte Lindh noch mehr als bislang in den Medien präsent sein. Doch nicht dies ist das Geheimnis ihrer Popularität. Lindh gehört zur kleinen Schar selbstständiger Personen in Perssons Regierung. Der bestimmt am liebsten selbst und stellt gern Minister bloß, die ohne seine Rückendeckung zu denken wagen. Die 43-jährige Außenministerin hat sich davor selten gescheut. Als sie einen ehrgeizigen Plan für die Osterweiterung der EU präsentierte, geschah dies zunächst nicht nur im Widerspruch zum EU-Zeitplan, sondern auch offen gegen Perssons Vorgaben – doch dieser schwenkte schnell auf ihre Linie ein. Außenpolitik und vor allem die Osterweiterung sollen ein zentraler Baustein von Schwedens Präsidentschaftshalbjahr werden und Anna Lindh Stockholms Trumpfkarte. Ebenso wenig wie vor ihrem Chef beabsichtigt sie offenbar vor den Regierungschefs oder KollegInnen aus den großen EU-Ländern zu kuschen. Auch nicht vor der EU-Kommission: „Wozu brauchen wir eigentlich eine starke Kommission, wenn wir die Effektivität der EU entwickeln wollen?“ Eine „Offenheitsrevolution“ kündigt sie nicht nur der EU für die nächsten Monate an: Die schwedische Präsidentschaft soll auch dazu dienen, auf häuslicher Ebene umstrittene Neutralitätszöpfe abzuschneiden: „Die alte Formulierung für unser Neutralitätsprinzip ist schlecht, wir sollten sie reduzieren auf militärische Allianzfreiheit.“

Bevor Lindh von Persson 1998 als Außenministerin in sein Kabinett geholt wurde, war sie von 1994 bis 1998 Umweltministerin – eine umstrittene. Staffan Westerlund, Professor für Umweltrecht, kritisierte an ihr die „arrogante, flapsige Nonchalance gegen alles, was aus der wissenschaftlichen Ecke kommt“. Der Umweltpublizist Björn Gillberg stellte ein langes Sündenregister ihrer Politik auf, bezeichnete sie als „Umweltminister, der die Umwelt verriet“, und zieht als Fazit: „Welche Differenz zwischen Worten und Taten!“

In der Politik ist es der Weg nie weit vom Kometen zur Sternschnuppe. Und auch nicht der umgekehrte. REINHARD WOLFF