Grüne begeistert über Fischers Offenheit

Auf die Prügelfotos des Außenministers reagiert die Partei gelassen, die Union eher pflichtgemäß. Doch selbst in der Opposition fehlt die rechte Angriffslust

BERLIN taz ■ Nein, überrascht ist man bei den Grünen in Berlin ganz und gar nicht. Eher schon froh, dass Joschka Fischer im Stern-Interview klare Worte gefunden hat zu seiner Vergangenheit. „Außer den Fotos gibt es doch nichts Neues“, sagt Fritz Kuhn, einer der beiden grünen Parteichefs. Schon einmal, vor zwei Jahren, habe die FAZ versucht, mit Bezug auf Fischers hinlänglich bekannter Vergangenheit dessen Amtsübernahme zu verhindern. Dabei habe Fischer wie kaum ein anderer „konsequent den Weg von der Gewalt zur Gewaltfreiheit gefunden“. Ja, die Grünen seien 1979/80 gegründet worden „als Ausdruck dafür, dass man eine gewaltfreie, demokratische Alternative wollte“.

Nein, was ihren Außenminister angeht, gibt es an diesem Donnerstag keinen Misston bei den Grünen. Christian Ströbele, eine Art Elder Statesman des linken Flügels in der Bundestagsfraktion, hat manche Kontroversen mit Joschka Fischer ausgefochten, besonders heftig während des Kosovokrieges. Aber beide verbindet auch ihre linke Vergangenheit – der eine als früherer Anwalt der „Roten Armee Fraktion“ in den Verfahren in Stuttgart-Stammheim Mitte der 70er, der andere zur selben Zeit als Straßenkämpfer auf dem Frankfurter Pflaster. „Ich finde es gut und richtig“, sagt der heute 61-jährige Ströbele, „wie Joschka kontrovers mit seiner, ja unserer gemeinsamen Vergangenheit umgeht. Das vermisse ich von manchen meiner damaligen Genossen.“

Christian Simmert gehört zu jenen Abgeordneten in der Bundestagsfraktion, die den Häuserkampf, den Herbst 1977 nur vom Hörensagen kennen. Simmert ist 28 und sieht die neuen Fotos aus der Sicht des historisch Interessierten: „Ich gehe da relaxed ran.“ Manchmal wundere er sich, „wie zart der Kollege Fischer in Fraktionssitzungen ist angesichts seiner Vergangenheit“. So habe er ihm vor einigen Monaten vorgehalten, seine Forderung nach einem Atomausstieg nach 25 Jahren sei einfach zu radikal. Lächerlich sei das gewesen, sagt Simmert: „Der Fischer vor 25 Jahren würde wahrscheinlich über den Fischer von heute stirnrunzeln.“ Gut findet er die Offenheit, mit der sein Handeln zu erklären versucht.

Daniel Cohn-Bendit, heute Abgeordneter im Europaparlament, stellt sich rückhaltlos hinter seinen einstigen Weggefährten aus Frankfurter Zeiten. Endlich ein deutscher Politiker, der sich zu seinen früheren Taten bekenne: „Es wäre gut gewesen, wenn SPD-Mitglieder gesagt hätten, ja, ich war mal KPD-Mitglied, oder CDU-ler gesagt hätten, ich war mal NSDAP-Mitglied.“ Die Union verhielt sich so, wie man es von einer Oppositionspartei erwarten durfte.

Zwar verlangte Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) den Rücktritt Fischers und der nordrhein-westfälische CDU-Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers eine Entschuldigung Fischers für seinen Angriff auf den Polizisten. Doch schon CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, der seit seinem Amtsantritt vor zwei Monaten mit markigen Sprüchen nicht gegeizt hatte, blieb merkwürdig verhalten. Das mag seinen Grund auch darin haben, dass Fischer unter vielen Unionsabgeordneten, vor allem den Außen- und Europapolitikern, ein anerkannter Mann ist. Man kennt sich gut und hat sich manches verziehen. Also verlegte sich Meyer lieber auf das seiner Ansicht nach ungeklärte Verhältnis der Grünen zur Gewalt. Eine „Reihe von Grünen-Politikern“ fehle es an der notwendigen Distanzierung etwa zur Gewalt bei Castor-Transporten. Meyers Spitze lässt Grünen-Chef Fritz Kuhn kalt: „Ach, da drückt sich so viel Hilflosigkeit aus“.

SEVERIN WEILAND