Klimmzüge im Treppenhaus

Das Tower-Running in Gropiusstadt geht nicht nur auf Po und Oberschenkel, sondern auch auf die Bizepse. Das Treppenrennen bestätigt eine Alltagsweisheit: zum Stufensteigen muss man jung sein. Oder SPD-Mitglied

Viele mussten schon in den unteren Etagen eine Verschnaufpause einlegen.

Menschen in Großstädten haben kaum eine Wahl: Wenn sie Sport treiben wollen, müssen sie sich etwas einfallen lassen. Die Schwimmbäder stinken und sind überfüllt, die nächste Sporthalle ist viel zu weit, in den Parks lauern Hunde den Joggerwaden auf, und überhaupt sind überall viel zu viele Menschen. Besser ist, auf alternative Turngeräte auszuweichen. Bungee-Jumper und Freeclimber beispielsweise nutzen immer häufiger die Möglichkeiten, die ihnen die innerstädtische Stein- und Betonlandschaft bietet. Auch Fluchtwege liegen die meiste Zeit des Jahres brach und sehnen sich nach ein wenig Beachtung. Man kann diese vernachlässigten Treppenhäuser nicht nur herunterschlendern, sondern auch hochlaufen. Wie jede moderne Extremsportart, hat auch das Treppenrennen einen englischen Namen: Tower-Run.

Mit dem Treppensteigen konnten Sportliche gestern zum ersten Mal in Berlin einen Pokal gewinnen. Der 1. Berliner Tower-Run stieg im höchsten Wohnhaus Deutschlands: einem 29stöckigen Wohnblock in Gropiusstadt. Über 465 Stufen waren in dem wenig einladenden Betontreppenhaus zu überwinden. 75 mehr oder weniger ernsthafte Sportler nahmen teil. Darunter auch viele Anwohner – sie wollten offenbar ihren Heimvorteil nutzen. Das gestrige Ergebnis bestätigte allerdings eine alte Weisheit: Treppensteigen ist etwas für junge Menschen. Der Erste im Ziel war der 16-jährige Triathlet Yves Hollmann. Drei Minuten und 36 Sekunden hat er für die rund 100 Höhenmeter gebraucht. Die schnellste Frau auf der Treppe war die Ostberliner Mittelstreckenläuferin Eileen Carow, mit 15 Jahren ebenfalls recht jung.

Was während des Laufes in dem 1,20 Meter schmalen, geschlossenen Treppenhaus wirklich geschah, wissen nur die Läufer. Zuschauer waren ausgeschlossen – zu eng. Hollmann, der noch an vierter Position unten in das Haus gelaufen war, zog im 5. Stock an seinem Trainer vorbei: „Im 12. hatte ich alle überholt.“ Helma Tobies, die zweite Frau im Ziel, klagte dagegen über Männer, die ihr den Weg blockierten: „An denen kam ich einfach nicht vorbei.“ Viele mussten allerdings schon in den unteren Stockwerken eine kurze Verschnaufpause einlegen.

Denn eine gute Kondition alleine reicht nicht beim Treppenrennen. „Das geht sehr auf die Oberschenkel, und schwindelig kann einem dabei auch werden“, weiß Detlef Großer vom TuS Neukölln. „Diese Belastung kann man schlecht simulieren. Am besten, man bereitet sich in einem Hochhaus vor.“ Sieger Hollmann, der zwei Stufen auf einmal genommen hat, weist darauf hin, dass auch der rechte Arm sehr stark belastet wird – „vom hochziehen“.

Vorbild für das Berliner Treppenrennen ist der alljährlich Empire State Building Run-up. Schon seit 25 Jahren laufen fitnessfanatische New Yorker das berühmte Hochhaus (1.575 Stufen) hoch. Inzwischen müssen sogar Vorläufe ausgetragen werden, weil die Nachfrage so groß ist. In Deutschland konnte sich das Running-up bisher nicht durchsetzen. Die Tower-Runs, die für ein paar Jahre im Münchner Olympiaturm (1.230 Stufen) stattfanden, wurden wegen zu geringer Nachfrage eingestellt. Auch der Versuch im Berliner Fernsehturm am Alex scheiterte.

Jetzt hat die Neuköllner SPD-Fraktion das Projekt in die Hand genommen und gemeinsam mit dem TuS Neukölln das Rennen veranstaltet. Immerhin lockt das auch Nichtneuköllner nach Gropiusstadt. Und die werden nach dem strapaziösen Aufstieg mit einem schönen Blick über die wenig beliebte Siedlung belohnt. Das hätten sie allerdings einfacher haben können: Der Fahrstuhl braucht nicht einmal eine Minuten für die 29 Stockwerke.

WIBKE BERGEMANN