Merkzettel zum Einsatz

von ANDREAS ZUMACH

1) WAS WAREN DIE ZIELE UND EINSCHLAGSTELLEN DER URANGEHÄRTETEN MUNITION?

a) Bosnien-Herzegowina

Darüber wurde bislang die Öffentlichkeit weder in Bosnien noch in den Nato-Staaten informiert. Die Tatsache eines Einsatzes von urangehärteter Munition (Depleted Uranium, DU) gegen Ziele in Bosnien wurde überhaupt erst Ende 2000 bekannt. Die italienische Regierung hatte bei der US-Regierung nachgefragt – unter dem Druck von Anfragen aus dem Verteidigungsausschuss des eigenen Parlaments wegen sich häufender Leukämieerkrankungen bei in Bosnien eingesetzten Soldaten. Laut der – internen – Antwort aus Washington, die Italiens Verteidigungsminister Mitte Dezember an den Ausschuss weitergab, verschossen US-Kampfflugzeuge am 5. August und 22. September 1994 sowie zwischen dem 20. August und 14. September 1995 insgesamt 10.800 Projektile mit rund zehn Tonnen DU gegen serbische Stellungen in der Umgebung Sarajevos und in ganz Bosnien.

Ob und wann alle oder einige Nato-Regierungen darüber hinausgehende Informationen erhalten haben über genaue Ziele, tatsächliche Einschlagstellen und andere Details dieser Einsätze von DU-Munition, ist unklar. Auf öffentliche Kritik Italiens, Portugals und anderer Staaten hin kündigte Nato-Generalsekretär Lord Robertson am Freitag eine umfassende Aufklärung über die Details an.

Die Bundesregierung erweckt mit ihrer Behauptung vom Wochenende, die Umgebung von Mostar (wo 1997 ein später an Leukämie erkrankter Bundeswehrsoldat stationiert war) sei nicht mit DU-Munition beschossen worden, den Eindruck, sie sei bereits genauer informiert. Verschiedene Lokalbehörden sowohl im serbischen wie im muslimisch-kroatischen Teilstaat Bosniens berichten über erhöhte radioaktive Strahlungen auf ihrem Gebiet.

Die Belgrader Nachrichtenagentur Beta meldete am Wochenende, 400 Serben aus dem bei Sarajevo gelegenen Ort Hadžići – der 1995 mehrfach von der Nato bombardiert wurde – seien seitdem an Krebs- und Herzleiden gestorben. Bereits Ende 1995 vermeldeten die bosnisch-serbischen Behörden eine erheblich erhöhte Radioaktivität in Hadžići und Umgebung. Eine Überprüfung all dieser Angaben durch unabhängige, internationale Experten steht bis heute aus.

b) Kosovo

Bislang ist die Öffentlichkeit weder im Kosovo noch in den Nato-Staaten über den Einsatz von DU-Munition während des Nato-Luftkrieges gegen Jugoslawien vom 24. März bis 7. Juni 1999 umfassend informiert worden. Erst am 21. März 2000 bestätigte die Nato offiziell den Verschuss von 31.000 Projektilen mit rund zehn Tonnen DU durch amerikanische Kampfflugzeuge. Welcher Anteil davon auf das Kosovo entfällt und welcher auf das übrige Serbien sowie auf Montenegro, schlüsselte die Nato nicht auf.

Monate nach dieser offiziellen Bestätigung erhielt die mit der Untersuchung ökologischer und gesundheitlicher Folgen des Krieges in Serbien und Montenegro beauftragte UNO-Umweltorganisation (Unep) eine Karte von Nato-Generalsekretär Robertson: Auf ihr sind lediglich 112 Einschlagstellen von DU-Munition im Kosovo vermerkt – die große Mehrheit entlang der Westgrenze des Kosovo zu Albanien.

Wie präzise die Karte ist und ob sie alle tatsächlichen Einschlagstellen enthält, ist unklar. Nach Auskunft eines Mitarbeiters von Robertson ist die Karte so ungenau, „dass man sich als Autofahrer damit kaum in das Kosovo wagen würde“.

c) Serbien außerhalb des Kosovo und Montenegro

Ein erheblicher Teil der von den Nato-Luftstreitkräften angegriffenen Ziele lag in Serbien außerhalb des Kosovo und in Montenegro. Wo dabei von den US-Kampfflugzeugen DU-Munition eingesetzt wurde, hält die Nato bislang geheim. Ob die Clinton-Administration diese Information überhaupt an die Regierungen ihrer 18 Bündnispartner weitergegeben hat, ist nicht bekannt.

Von Regierungsstellen und Lokalbehörden in Serbien kamen seit dem Frühsommer 1999 zahlreiche Hinweise auf erhöhte radioaktive Strahlung an Einschlagstellen von Nato-Bomben und -Granaten – was den Verdacht auf den Einsatz von DU-Munition nahe legt. Eine Überprüfung dieser Hinweise durch unabhängige internationale Experten steht bis heute aus.

2) WELCHE MASSNAHMEN WURDEN BISLANG AN EINSCHLAGSTELLEN VON DU-MUNITION GETROFFEN? a) Bosnien

Zum Schutz der Bevölkerung gibt es lediglich sporadische Maßnahmen (zum Beispiel: Aufräumen, Absperren, Dekontaminierung, Untersuchung von Boden- und Wasserproben, Warnung der Bevölkerung und der SFOR- und KFOR-Soldaten) an einigen Orten, wo Lokalbehörden erhöhte Radioaktivität festgestellt haben. Über Maßnahmen zum Schutz der SFOR-Soldaten ist offiziell bei der Nato oder den Verteidigungsministerien der an der SFOR beteiligten Länder nichts bekannt.

b) Kosovo

Das DU-Expertenteam der Unep untersuchte bei seiner ersten Mission im November 2000 11 der 112 auf der Nato-Karte vermerkten Einschlagstellen und stellte bei 8 eine erhöhte radioaktive Strahlung fest. „Mit großer Überraschung“ stellte das Team fest, dass DU-Munitionsteile (darunter weit größere, als sie nach dem Golfkrieg im Irak gefunden wurden) auch noch anderthalb Jahre nach Ende des Krieges offen in der Gegend herumliegen – zum Teil ohne ausreichende Absperrung. Räumungs- und Dekontaminierungsmaßnahmen werden in vielen Fällen durch bislang nicht explodierte Landminen verhindert. Die Unep bezeichnet die bislang gewonnenen Erkenntnisse als „repräsentativ“ für alle 112 Einschlagstellen.

Boden-, Wasser-, Pflanzen- und Kuhmilchproben aus der Umgebung der 11 untersuchten Stellen werden von der Unep derzeit auf Verseuchung durch hochgiftige Urandioxidstäube untersucht. Das Ergebnis soll bis März vorliegen.

Die Bundeswehr teilte mit, sie habe 5 der Einschlagstellen in ihrem KFOR-Sektor (3 serbische Panzerwracks und 2 Freiflächen) seit Beginn des Einsatzes ihrer KFOR-Soldaten abgesperrt. Inwieweit die KFOR-Truppen in anderen Sektoren ebenso verfahren sind, ist unbekannt.

Für KFOR-Soldaten aus Deutschland und anderen Ländern stehen Schutzfahrzeuge und Anzüge bereit, mit denen sie sich durch (potentiell) kontaminierte Gebiete bewegen können. Schon seit Beginn des Einsatzes im Juni 1999 erhielten sie detaillierte Anweisungen zur Gefahrenvorsorge (unter anderem kein Verzehr von lokalem Obst, Gemüse und Wasser). Entsprechende Vorsorgemaßnahmen für die lokale Bevölkerung erfolgten bislang – wenn überhaupt – nur sporadisch.

c) Serbien außerhalb des Kosovo und Montenegro

Es gab lediglich sporadische Maßnahmen von Lokalbehörden in der Umgebung von Einschlagstellen, an denen erhöhte Radioaktivität festgestellt wurde.

3) WELCHE PERSONENGRUPPEN WURDEN BISLANG MEDIZINISCH UNTERSUCHT?

a) Zivilbevölkerung

In Bosnien, im Kosovo sowie im übrigen Serbien und in Montenegro gab es bislang nur von lokalen Gesundheitsbehörden Untersuchungen von Einzelpersonen in der Umgebung bekannter (Kosovo) oder vermuteter (Bosnien und Restserbien/Montenegro) Einschlagstellen von DU-Munition – mit unterschiedlichen Standards. Danach präsentierte Ergebnisse scheinen teilweise den Verdacht auf DU-verursachte Erkrankungen zu bestätigen. Eine international überwachte und finanzierte Untersuchung nach einheitlichen Standards, wie sie von der Unep seit Mitte 1999 gefordert wird, steht weiterhin aus.

b) SFOR- und KFOR-Soldaten sowie ziviles Hilfspersonal

Nach den Meldungen der letzten Wochen über Leukämie-und Krebserkrankungen haben Portugal, Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland, Belgien, die Niederlande, die Türkei, Dänemark, Finnland, Schweden und Russland die Untersuchung zumeist sämtlicher Soldaten, Polizisten und Mitglieder ziviler Hilfsorganisationen begonnen oder angekündigt, die seit den ersten bekannten Einsätzen von DU-Munition im August 1994 im ehemaligen Jugoslawien stationiert waren. Deutschland (mit bislang rund 50.000 Soldaten seit Mitte 1996 in Kroatien, Anfang 1997 in Bosnien und Mitte 1999 im Kosovo vertreten) hat sich bislang auf die Untersuchung von 118 Kosovo-Soldaten beschränkt.

4) WAS WURDE BZW. WIRD UNTERSUCHT?

Die Kriterien und Methode für die jetzt von zahlreichen Staaten begonnenen oder angekündigten Untersuchungen sind bislang nicht bekannt. Der so genannte Bio-Monitoring-Test der Bundeswehr, dessen Ergebnis der taz vollständig vorliegt, beschränkte sich auf eine Untersuchung etwaiger DU-Spuren im Urin der 118 Kosovo-Soldaten zum Zeitpunkt des Tests. Der Untersuchungsbericht geht davon aus, dass etwaige DU-Ablagerungen mit dem Urin vollständig ausgeschieden wurden. Ob sich in Knochen, Nieren, Leber, Hoden oder anderen Körperteilen hochgiftige, radioaktive DU-Partikel abgelagert haben, die ihre krankheitserregende Wirkung erst mehrere Jahre nach dem Kontakt mit dem abgereicherten Uran entwickeln können, wurde nicht untersucht. Unabhängigen Experten aus den USA und Kanada zufolge, die zahlreiche, inzwischen erkrankte Golfkriegsveteranen getestet haben, ist aber genau diese Partikeluntersuchung unerlässlich, um die Gefahr einer späteren Erkrankung feststellen und ihr durch geeignete medizinische Maßnahmen vorbeugen zu können.