Solidarität mit den Gasdieben

Polen protestiert gegen den Bau einer Gas-Pipeline von Russland nach Westen, weil die Ukraine ausgebootet wird

WARSCHAU taz ■ Polen wehrt sich dagegen, ab 2008 jährlich eine Milliarde Dollar einzunehmen. Denn Polen mögen es nicht, wenn über ihre Köpfe hinweg verhandelt wird. Das aber haben europäische Firmen und Russland getan, als sie sich für eine Pipeline über polnisches Gebiet einigten, die Erdgas von Russland nach Westeuropa bringen soll. Die Polen stört nicht nur, dass Gasprom, Russlands größter Konzern und zugleich größter Erdgasproduzent weltweit, bereits mit den Energieunternehmen „Ruhrgas“ und „Wintershall“ aus Deutschland, „Gas de France“ aus Frankreich und „Snam“ aus Italien einen Vertrag geschlossen hat, sondern dass es sogar schon sieben Varianten über den Verlauf der künftigen Pipeline gibt. Keine einzige führt durch die Ukraine. Das ist das nächste Problem Polens.

Der bewusste Ausschluss der Ukraine berührt direkt die Interessen Polens. Die Ukraine ist Polens wichtigster Nachbar im Osten, strebt ebenfalls die Mitgliedschaft in der EU an und behauptet mit Mühe seine Unabhängigkeit gegenüber Moskau. Würde künftig das russische Gas nicht mehr durch die ukrainische Pipeline fließen, verlöre die Ukraine eines ihrer wichtigsten Druckmittel gegenüber Russland. Doch auf dem EU-Russland-Gipfel in Paris im Herbst protestierte noch nicht einmal die Ukraine gegen die Pipeline. Denn gegen die wirtschaftlichen Argumente aus West und Ost hatte das Land keine Chance. Der Westen will dem Preisdiktat der Opec-Staaten entkommen und Russland will größer ins Erdgasgeschäft einsteigen.

Bislang exportiert Gasprom rund 120 Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich nach Westeuropa, davon werden gut 90 Milliarden Kubikmeter im Transit durch die Ukraine in den Westen gepumpt. Die Ukraine selbst importiert offiziell 30 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland, entnimmt aber weitere sieben bis zehn Milliarden Kubikmeter jährlich illegal aus der Pipeline. Gasprom protestierte immer wieder gegen den Diebstahl und mahnte erfolglos die Zahlung an. So steht die Ukraine inzwischen mit über drei Milliarden Dollar bei Gasprom in der Kreide, obwohl das Land nur 40 Prozent des Weltmarktpreises zahlt. Kiew selbst beziffert die Schulden auf knapp 1,5 Milliarden Dollar. Doch auch diese Summe übersteigt die gesamten Gold- und Devisenreserven des Landes. Den Gashahn einfach zudrehen kann Gasprom aber auch nicht, da der Großteil des Gases im Westen ankommt und von dort in harten Devisen bezahlt wird. Die neue Pipeline soll daher die Ukraine umgehen. Ab 2008 sollen jährlich mindestens 180 Milliarden Kubikmeter russischen Erdgases gen Westen fließen. Diese enorme Menge wird aber weder die geplante noch eine fast fertiggestellte Pipeline von der nordrussischen Jamal-Halbinsel bewältigen können. Ein großer Teil des künftigen Erdgasexports Russlands wird also nach wie vor durch die Ukraine strömen. Nur die polnischen Politiker müssen sich noch überlegen, wo ihr eigentliches Interesse liegt: Womöglich sind es doch die Milliardeneinnahmen aus dem Erdgastransit von Ost nach West.

GABRIELE LESSER