Smalltalk mit João Diogo

Einen Bacalhau á Brás original zuzubereiten, gefiel Berliner Politikstudenten. Aber als sie Portugals Botschafter duzen sollten, rutschte ihnen das Herz in die Hose. Bericht aus einem Hauptseminar

Die Studenten haben Gelegenheit, dem Botschafter kitzlige Fragen zu stellen

von BRITTA STEFFENHAGEN

„Nein, du musst so machen!“ Donna Maria nimmt Marianne energisch den kleinen Metallfilter aus der Hand und beschreibt schnellere Kreisbewegungen über dem dampfenden Topf. Langsam läuft Eigelb durch die drei kleinen Öffnungen ins kochende Zuckerwasser und bildet dort zarte gelbe Fäden, die nach wenigen Sekunden wieder abgeschöpft werden müssen. Die strenge Lehrerin Donna Maria ist die Privatköchin des portugiesischen Botschafters in Berlin. Und bei bei der Herstellung der Eierfäden lässt sie nicht mit sich spaßen, schließlich wird daraus ein „Pudding Elfenbein“, Dessert für ein Abendessen mit Portugals Botschafter João Diogo Nunes Barata.

Marianne Barnard ist allerdings kein ungeschicktes Dienstmädchen. Wie die 16 KommilitonInnen, mit denen sie heute portugiesische Spezialitäten zubereitet, studiert sie Politische Wissenschaften am Otto-Suhr-Institut (Osi) der Freien Universität Berlin. Das Osi, früher berüchtigt für marxistische Professoren und aufrührerische StudentInnen, veranstaltet hier ein Seminar der besonderen Art – Dinieren und Parlieren mit dem Botschafter.

Marianne findet es erwartungsgemäß gut, dass dieser Politik-Kurs „aus der fachidiotischen Lehrweise herausführt“. Europa nämlich, da ist sie sich sicher, „hat nicht nur eine institutionelle, sondern auch eine kulturelle Seite – und die erlebt man hier.“ Ähnlich exaltiert klingt das bei Michael Bolle. „To blend the art of cooking with the art of science“ – so offeriert der Professor für internationale Wirtschaftspolitik seinen ausgefallenen Kurs. Auf Deutsch heißt das ganz banal, die Kocherei mit der Wissenschaft zu verbinden.

Der Politikprofessor Bolle nennt 300 Kochbücher sein Eigen. So leicht und locker aber wie der Gourmet es sich wünscht, läuft das so fein angerichtete Politikseminar nicht. Plötzlich guckt der Botschafter selbst in die Töpfe und überrascht die Studierenden mit einem Angebot. Seine Exzellenz will mit dem Vornamen angesprochen sein. Da muss Professor Bolle schon mit den Armen rudern, um seine Zöglinge zum Smalltalk Richtung João Diogo zu dirigieren.

Martin Groll, einer der wenigen Studiosi, die sich nicht mit Schlips und Kragen herausgeputzt haben, hält große Stücke auf das Koch-und-Polit-Seminar: „Das ist mit Abstand der gehaltvollste Schein dieses Semesters.“ Nach dem Genuss alkoholfreien Bieres mit der finnischen Gesandten Ritva Koukku-Ronde steht diesmal Portugal auf dem Speisen- und Seminarplan; das nächste Mal – heute Abend, 18 Uhr – folgt Frankreich, das Mutterland des guten Essens. Alles Staaten also, die im vergangenen Jahr die EU-Ratspräsidentschaft innehatten.

Inzwischen wird „Bacalhau á Brás“ serviert, das ist die portugiesische Nationalspeise Stockfisch, in kleine Fasern zerpflückt und anschließend mit Zwiebeln, vielen Eiern und frittierten Kartoffelfäden verbacken. Das Essen also ist gehaltvoll. Aber sind es auch die Fragen der Politik-Studierenden?

Der Botschafter hält eine kleine Rede und geht darin emphatisch über die offizielle Position der sozialistischen Regierung unter Antonió Guterres zur Osterweiterung der EU hinaus. Der Diplomat überrascht durch die Vehemenz, mit der er für die Aufnahme von Staaten wie Polen oder Tschechien in die EU eintritt – ohne freilich ein Debatte über diese prononcierte Position mit den offenbar überrumpelten Politik-Studis auszulösen.

Ungewollt geben die Studis mit ihrer Harmlosigkeit jener Kritik Recht, die Bolles Professorenkollegen übten. Die mokierten sich über die larmoyante und oberflächliche Ankündigung des Bolle-Kurses. Im Stile eines Alfred Biolek hatte der eigenwillige Professor seinen Kurs als „Eurocuisine – Kochen mit Bolle und internationalen Gästen“ ins Vorlesungsverzeichnis setzen lassen. „Die Wissenschaftlichkeit des Kurses muss schon im Titel zum Ausdruck kommen“, so meint nicht allein Oskar Niedermayer. Der Professor für politische So–ziologie findet, „dass die Universität schließlich auch eine gewisse Außenwirkung hat“.

Dabei hat Bolles Koch-Kurs durchaus einen ambitionierten wissenschaftlichen Hintergrund. „Das Seminar soll zwei Probleme normaler Kurse beheben“, erläutert Ulrich Brückner, Post-Doc und heimlicher Spiritus Rector des Seminars. „Es geht darum, den Studierenden so etwas wie ein gesellschaftliches Leben auf dem Campus anzubieten – so wie es an Spitzenuniversitäten wie Stanford oder auch in kleinen Hochschulen ganz normal ist.“ Daher „Eurocuisine“ als Veranstaltungs-Format.

Einen zweiten Vorteil sieht Brückner durch die persönliche Anwesenheit hochrangiger Politikentscheider. „Es gibt Situationen, in denen man allein mit der Analyse schriftlicher Quellen nicht weiterkommt – deswegen haben die Studenten hier die Gelegenheit, die Gesandten mit den kitzligen Fragen zu konfrontieren, die sie vorher im Seminar herausgearbeitet haben.“ Brückner will denn auch „inquisitorische Gespräche“ zwischen Studis und Botschaftern erlebt haben – diplomatischer Natur, versteht sich. „Hier wird natürlich keiner angeraunzt“, meint der Inhaber des „Jean Monnet Chair für europäische Integration“ der FU.

Brückners Chef Michael Bolle hätte sich wegen der Unkenrufe am grob gesitteten Otto-Suhr-Institut die „leichte Eleganz“ (Bolle) seiner Kochkurse ohnehin nicht zerstören lassen. Notfalls hätte er den Titel des Kurses vor dem Verwaltungsgericht durchgesetzt. „Schließlich ist die Lehre frei“, pocht Bolle auf seine professoralen Rechte.

Einige Studenten wurmt der glatte Verlauf des Abends trotzdem. Sie hätten den Botschafter gerne mehr in „die Zange genommen“. Vielleicht haben sie schon bald Gelegenheit dazu. João hat den Kurs eingeladen – diesmal zu sich nach Hause.