Späte Rache von Irans Konservativen

16 Teilnehmer einer Berliner Konferenz der Böll-Stiftung wurden in Teheran verurteilt – zu welchen Strafen, ist unklar

BERLIN taz ■ Es ist ein politischer Prozess par excellence – sogar noch nach den Urteilen. Am Sonntag entschied das Teheraner Revolutionsgericht über die Bestrafung von 16 TeilnehmerInnen einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin im vergangenen April zum Reformprozess in Iran. Doch verkündet werden die Urteile vorerst nicht.

Die 16 Betroffenen gehören alle zum iranischen Reformlager. Während der von den Grünen und damit auch dem deutschen Außenministerium nahe stehenden Stiftung veranstalteten Konferenz hatten sie nur ihre auch in der Islamischen Republik bekannten Positionen wiederholt. Doch Irans Justiz ist fest in den Händen der Konservativen. Und die bliesen nach der Berliner Veranstaltung zur Jagd auf die TeilnehmerInnen.

Eigentlich war die Urteilsverkündung für Montag angekündigt worden. Dann meldete die staatliche Nachrichtenagentur Irna unter Berufung auf den Justizapparat, es werde keine Bekanntgabe geben, solange die Verfahren nicht beendet seien. Schließlich hätten die Angeklagten das Recht, innerhalb von 20 Tagen in Revision zu gehen.

„So etwas hat es hier noch nie gegeben“, kommentiert ein Beobachter in Teheran die Ereignisse. Von Berufungsverfahren in der Angelegenheit sei bis Montag nicht die Rede gewesen. Vielmehr seien letztinstanzliche Entscheidungen erwartet worden. Er gehe davon aus, dass die am Sonntag gefällten Urteile „so hart“ seien, dass sich die Justiz nun doch nicht traue, sie öffentlich zu machen. Zum einen, weil dies eine zu offene Kampfansage an das Reformlager um Präsident Mohammad Chatami sei, der seit Monaten indirekt mit Rücktritt droht. Zum anderen, weil etliche der Verurteilten zu Zeiten der Islamischen Revolution fest an der Seite von Ajatollah Khomeini gestanden hätten und sich erst in den letzten zwei Jahren zu Reformern mauserten.

Dieses betrifft vor allem den Publizisten Akbar Gandschi. 1980 gehörte er zu den Anführern der Besetzer der US-Botschaft in Teheran, später arbeitete er für den Geheimdienst. Inzwischen mutierte er zum Reformer. In Zeitungsartikeln und einem Buch deckte er die Verwicklung des iranischen Geheimdienstes in die Morde an Intellektuellen und Dissidenten Ende 1988 auf. Den Konservativen gilt er als Staatsfeind. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft. Doch ein solches Urteil würde zu Protesten der Bevölkerung führen.

Schwierigkeiten drohen Irans Führung auch bei einer Verurteilung des Übersetzers Said Sadr. Er ist offizieller Angestellter der deutschen Botschaft. Mit der Berliner Konferenz hatte er eigentlich nichts zu tun. Die Justiz wirft ihm jedoch vor, den diplomatischen Postverkehr zur Verbreitung staatsfeindlicher Propaganda genutzt zu haben. Die Anklageerhebung gegen ihn hatte im Herbst dazu geführt, dass das Auswärtige Amt Irans Botschafter in Berlin einbestellte. Irans Reformer bemühen sich trotz der Urteile die Wichtigkeit des deutsch-iranischen Verhältnisses herauszustellen. Am Montag traf der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des iranischen Parlaments, Mohsen Mirdamadi, den deutschen Botschafter Rüdiger Reyels. Beide betonten, die Beziehungen zwischen beiden Staaten müssten ausgeweitet werden. Am Donnerstag hatte der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hamid Resa Assefi, erklärt, die Grünen hätten ihr Verhalten gegenüber Iran verändert und würden auf Kooperation setzen. Besonders Außenminister Fischer habe „immer die Zusammenarbeit mit der Islamischen Republik betont“ und wolle die „bilateralen Verbindungen verstärken“.

Die Beziehungen zu Deutschland bedeuten für Präsident Chatami ein entscheidendes Tor zur Welt. Irans Konservativen sind sie ein Dorn im Auge. Schließlich verurteilte das Berliner Kammergericht 1997 fast die gesamte damalige iranische Staatsspitze wegen des Mordes an vier oppositionellen iranischen Kurden 1992 in dem Berliner Restaurant Mykonos. Bei der Berliner Konferenz saß für das Auswärtige Amt Staatssekretär Wolfgang Ischinger auf dem Podium. Es war also keine völlig von der Regierung losgelöste Veranstaltung. Die jetzigen Urteile in Teheran können daher auch als späte Rache der iranischen Konservativen für das Mykonos-Urteil gelesen werden.

THOMAS DREGER