Keine Zeit mehr zum Reifen

Finanzielle Erfordernisse treiben die tschechischen Fußballklubs zum Verkauf von Talenten wie Tomas Rosicky, der jetzt für 25 Millionen Mark nach Dortmund geht, gute Jugendarbeit sorgt für Nachschub

aus Prag WOLFGANG JUNG

Borussia Dortmund habe sympathisch verhandelt, der FC Bayern München aggressiv – so einfach erklärte der Präsident des tschechischen Fußball-Rekordmeisters Sparta Prag, Vlastimil Kostal, den Transfer von Tomas Rosicky zum BVB. Der Wechsel ließ Journalisten zu Superlativen greifen und nahm den meisten Tschechen den Atem: Für die 25 Millionen Mark, die Dortmund in Prager Kassen spült, lassen sich 1.796 neue Škoda-Mittelklassewagen kaufen.

Aber Rosicky ist ja auch nicht Mittelklasse. Der 20-Jährige gleitet mit bemerkenswerter Leichtigkeit durch gegnerische Abwehrreihen und lässt mit seiner atemberaubenden Technik das Herz jedes Zuschauers höher schlagen. Wer Rosicky in Bestform erlebt, ahnt: Wegen solchen Spielern wurde der Fußball einmal erfunden. Das musste den vielen Beobachtern in Europa auffallen, zumal Rosicky in einer Liga spielte, in der zahlreiche Kicker mit dem Tempo eines böhmichen Heuwagens über das Feld wackeln.

Doch gerade in dieser Liga würde er gerne reifen und mit seinen Freunden noch einmal tschechischer Meister werden, betonte der leichtfüßige Mittelfeldspieler stets. Gerade 42 Liga-Spiele für Sparta und acht Länderspiele hat Rosicky absolviert. „Ich befürchte, er ist noch nicht vorbereitet auf die harten Positionskämpfe im Ausland“, sagt der langjährige Libero des 1. FC Kaiserslautern, Miroslav Kadlec, jetzt beim mährischen Erstligisten FK Drnovice.

Auch das „Wunderkind“ machte zuletzt keinen Hehl daraus, von seinem Arbeitgeber zum Vereinswechsel gedrängt worden zu sein: Als das deutsche Verlagshaus Passau im Juni 1999 Sparta Prag über seine tschechische Tochter Vltava-Labe-Press (VLP) kaufte, drückte den Klub laut Presseberichten eine Altlast von umgerechnet 41 Millionen Mark wegen Stadionbaus und Steuerschulden. Heute ist der Klub im Plus – eine in Rekordzeit vollführte Entschuldung.

Dafür verkaufte der Verein jedoch allein im vergangenen halben Jahr fünf Nationalspieler: Vratislav Lokvenc und Petr Gabriel nach Kaiserslautern, Miroslav Baranek nach Köln, Milan Fukal nach Hamburg und eben jetzt Rosicky. Dass der Verein dabei spielerisch nahezu ausblutete, zeigte die Champions League: Während die gut besetzte Mannschaft 1999 mit Leichtigkeit die Zwischenrunde erreichte, scheiterte der Torso im Herbst als Gruppenletzter in der Vorrunde.

Kostal sieht das emotionslos: „Manche Spieler überreden wir zum Bleiben, auch wenn sie nur auf der Bank sitzen. Und andere verkaufen wir, weil es vorteilhaft ist. Fußball ist ein Geschäft. Und Fukal und Rosicky, die bei Sparta bleiben wollten, sind von ihren Verträgen begeistert. Beide waren mit dem Wechsel zufrieden, glauben Sie mir.“

Doch was ist das Geheimnis der tschechischen Fußball-Qualität? Was führt ein solch eher kleines Land dauerhaft an die Spitze der Fifa-Rangliste, lässt eine unbekannte Mannschaft 1996 Vize-Europameister werden und die Spitzenklubs wie den FC Liverpool (Berger, Smicer) und Lazio Rom (Nedved, Poborsky) mit Klassespielern versorgen? Immerhin steht Slavia Prag als einziger „Ost-Verein“ im Achtelfinale des Uefa-Pokals (gegen Kaiserslautern). Im Vergleich mit Eishockey habe Fußball in Tschechien zwar kaum eine Chance, aber die Nachwuchsarbeit sei bei beiden seit Jahrzehnten gleich gut, erklärte einmal Ex-Nationaltrainer Dusan Uhrin.

Das wichtigste ist den Funktionären des Böhmisch-Mährischen Fußballverbandes (CMFS) aber eine Sache, die seit ihrer Existenz von Journalisten kritisiert wird: Seit der Teilung der Tschechoslowakei 1993 besitzen beide Länder eine eigene Liga mit jeweils 16 Vereinen. „Substanzverlust“, toben Experten zu Recht, etwa wenn zum Spiel Pilsen gegen Budweis wieder einmal nur 2.500 Zuschauer kommen, und fordern eine Verkleinerung der Liga oder eine Fusion mit den Slowaken.

Die Verbandschefs lächeln darüber nur: Gerade dieses Konzept bringt Spieler wie Rosicky, Pavel Kuka (früher Kaiserslautern) und Jiri Nemec (FC Schalke 04) hervor – in Tschechien können Talente reifen, weil sie spielen dürfen. Auch Präsident Kostal weiß dies und lächelt mit: Das 23-jährige Sparta-Talent Jiri Jarosik steht bereits in den Notizblöcken internationaler Spieleragenten.