standbild: Das Lamm und die Putzkolonne
Joachim Gauck (Mi., 23.00 Uhr, ARD)
Dienstagabend verschläft Verteidigungsminister Scharping seine und unsere Zeit bei Biolek zum Thema „Nur die Liebe zählt“. Und exakte 24 Stunden später tritt Außenminister Fischer nicht zurück, wie all die anderen, sondern auf. Bei „Gauck“.
Joachim Gauck, bekannt aus „Akte ungelöst, ungeöffnet oder nicht gelesen“, war zehn Jahre lang eine Behörde und ist nun eine Fernsehsendung geworden. Eine mit Glück.
Schon vor Monaten wurde Joschka Fischer zur Premiere der neuen Talkshow eingeladen. Da ahnte noch niemand, in welche Verlegenheiten der Vizekanzler geraten würde. Also wollte Gauck das Gespräch mit der alten taz-„Wahrheit“ beginnen, dass Hollywood das Leben Fischers verfilmen wolle. Doch Pustekuchen. Die Fotos sind gedruckt, die ganze Republik diskutiert und Gauck zieht mit.
Der Träger des „Cicero-Redenpreises“ ging anfangs auch recht forsch zu Werke. Als ehemaliges Mitglied eines Besengeschwaders auf einer Werft in Rostock interessierte ihn Aufbau und Aufgabe der Frankfurter Putzgruppe besonders. Freundlich lächelnd verglich der Pastor aus Mecklenburg deutsche Fußballhooligans mit Frankfurter Hausbesetzern und fragte nach graduellen Unterschieden beim Zecken- und Bullenklatschen. Und Fischer gab zu: „Ich stehe erheblich unter Druck.“ All diese Vorwürfe ließen ihn nicht kalt. „Ich glaube, dass lässt keinen gleichgültig.“ Wer hätte das gedacht?
Wahrscheinlich jeder, der Zeitung lesen kann. Denn Neues war nicht zu erfahren. Dass Fischer zu seiner Geschichte steht, ist mittlerweile bekannt, und das betonte er denn auch laufend. Doch was nun genau war, blieb leider weiter im Dunklen. „Wenn es sein muss, werden wir jetzt versuchen, die Wahrheit zu identifizieren“, so Fischer – doch damit war wohl nicht das Gauck-Gespräch gemeint: Phrasen, Floskeln und flotte Sprüche bestimmten die Sendung.
Wenn Joschka Fischer auf ein ebenso sanftes Forum wie beim Stern-Interview aus war, hier hatte er es gefunden. So merkwürdig zahm blieb Joachim Gauck, dass den Zuschauer die Ahnung beschlich, da sucht sich jemand eine neue Behörde. Hoffentlich nicht im Fernsehministerium. ALF IHLE
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