Sie muss Joschka gefallen

Kanzler Schröder erfreut den Koalitionspartner mit einem herzerwärmenden Bekenntnis zu Rot-Grün im Wahlkampf 2002

aus Berlin JENS KÖNIG
und SEVERIN WEILAND

Das war ein völlig neues Gefühl bei den Grünen. Eine Ministerin tritt zurück, aber kaum jemand redet von einer Krise. Sondern von „Chance“ und „Neuanfang“. Und dann erst der Kanzler! Er gestattet den Grünen nicht nur den Zuschnitt des neuen Superministeriums Verbraucherschutz, Ernährung, Landwirtschaft! Sondern erfreut sie auch noch mit einem herzerwärmenden Bekenntnis zu Rot-Grün im kommenden Wahlkampf.

Doch mit dem Stichwort „2002“ hört die Freude schon auf. Denn wer soll für Renate Künast an die Parteispitze nachrücken? Wer die Themen nicht nur setzen, sondern auch verkaufen, die das Regierungsbündnis für weitere vier Jahre sichert? Klar sind bei den Grünen nur zwei Dinge: Es muss eine Frau sein und sie muss möglichst links sein. Nicht ganz links, denn sie soll ja mit dem Realo Fritz Kuhn harmonieren.

Die Fraktion ist am Donnerstag Vormittag im sachsen-anhaltischen Wörlitz zu einer zweitägigen Klausur zusammengekommen. „Das Thema wird diskutiert, aber es wird nichts entschieden“, sagt Kuhn. Was der verbliebene Parteichef sagen muss, wenn er an die Presse tritt. Denn hinter den Kulissen wird telefoniert, werden Mails durchs Land gejagt. Manchen Grünen schwant, das es mit der Ruhe, die Künast und Kuhn in die Partei brachten, bald vorbei sein könnte. „Jetzt kommt das Problem zurück, das durch die professionelle ihre Arbeit verdeckt wurde“, sagt Andreas Schulze, der Berliner Landesvorsitzende. Solch ein Paar, „auf das Quote und Kompetenz zutrifft, das gibt es nur einmal in zehn Jahren“.

Am Donnerstagmorgen werden Namen gehandelt. Kerstin Müller, die Fraktionschefin im Bundestag, Undine Kurth, langjährige Landeschefin in Sachsen-Anhalt und jetzt Beisitzerin im Bundesvorstand. Auch Andrea Fischer, die zurückgetretene Ministerin, ist darunter. Doch die, heißt es von Vertrauten, winkte schon gestern ab. Nicht sie sei der Partei etwas schuldig, sondern die Partei wohl doch ihr.

„Wer Andrea Fischer ins Spiel bringt, hat doch kein Gefühl dafür, was da kaputtgegangen ist“, sagt Schulze, dessen Berliner Landesverband sowohl die neue als auch die alte Ministerin angehören. Kaputtgegangen? Schulze drückt sich vorsichtig aus: „Die Unterstützung durch die Partei hätte stärker sein können.“

Hätte, war sie aber nicht. Schon am Montagabend, so wird in Berlin kolportiert, sollen nämlich Fritz Kuhn und der Kanzler sich auf das neue Superressort verständigt haben. Die Noch-Gesundheitsministerin Andrea Fischer, so heißt es, erfuhr von dem Treffen in der Berliner Kanzlerwohnung und trat die Flucht nach vorne an. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie wohl, dass auch Joschka Fischer sie nicht mehr stützte. Der ist zwar nur im Parteirat. Aber was Joschka Fischer sagt, welches Gesicht er möglicherweise zu welcher Kandidatin ziehen wird, darauf wird es am Ende ankommen. Anfang März soll Künasts Nachfolgerin auf dem Bundesparteitag gewählt werden. „Welche Frau bis dahin ins Rennen geschickt wird, sie muss auch Joschka Fischer gefallen“, sagt die niedersächsische Landeschefin Heidi Tischmann. Das finde sie zwar „nicht richtig“, sagt die Parteilinke, aber „am Ende wird es doch wieder vom Berliner Klüngel abhängen“.

Für den 31. Januar ist ein Treffen der Landesvorstände in Berlin anberaumt. Eigentlich soll es dort um eine gemeinsame Haltung zu den Castor-Transporten gehen. Dafür hatte sich die Hamburger Landeschefin Antje Radcke stark gemacht. Auch ihr Name wird genannt, doch Radcke, die im Herbst einen Landtagswahlkampf zu führen hat, winkt ab: „Für eine Kandidatur gibt es keine Grundlage.“ Radcke war Künasts Vorgängerin an der Parteispitze – und hatte in ihren letzten Amtstagen die rot-grüne Atompolitik kritisiert. Das hat man in Berlin nicht vergessen: „Ich glaube nicht, dass irgendjemand daran denkt, unsere wertvollen Kräfte in Hamburg abzuziehen“, sagt Radcke. In Hamburg wird im Herbst gewählt.

Auch Barbara Steffens, die stellvertretende Fraktionschefin in Nordrhein-Westfalen, steht nicht zur Verfügung. Schon einmal war sie für den Bundesvorsitz im Gespräch. „Wer sich dafür entscheidet, muss das mit seiner Lebensplanung in Einklang bringen“. Sie habe ein 6-jähriges Kind, das dieses Jahr eingeschult werde – ein Wechsel nach Berlin käme für sie nicht in Frage. Der Berliner Landesschef Schulze sieht, abgesehen von persönlichen und politischen Motiven der Umworbenen, bei den Grünen ein weiteres, weitaus profaneres Problem: „Unsere Personaldecke ist doch schon ziemlich dünn.“

Und weil das so ist, stößt die Bundespartei mit schöner Regelmäßigkeit an die Grenze, die sie sich selbst mit ihrer Satzung gegeben hat. Denn wer Abgeordneter oder Minister ist, kann nicht zugleich ein Bundesvorsitzender sein. Wer wie Hubert Kleinert, der hessische Landeschef und Freund Joschka Fischers, in der Vergangenheit für eine Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat gestritten hat, wiegelt jetzt ab. „Wir in Hessen werden eine solche Diskussion ganz sicher nicht anzetteln.“ Es gebe „weitaus wichtigere Aufgaben“.

Eine sei, die neue Ministerin Künast „in ihrem schwierigen Amt zu stützen“. Da ist jemand wie Thomas Bichler, der Landeschef von Sachsen-Anhalt, eindeutig in der Minderheit mit seiner Forderung, doch nochmals darüber nachzudenken, die Trennungsklausel „aufzuheben“. Schließlich dürften die Grünen den „qualifizierten Leuten in ihren Reihen nicht die Tür vor der Nase zuschlagen“. Doch in diesem sensiblen Punkt ist sich die Mehrheit der Realos und Linken einig: Bloß kein Fass aufmachen! „Das wäre fahrlässig, wenn wir jetzt wieder eine Strukturdebatte führen würden“, sagt Jerzy Montag, einer der beiden bayerischen Landeschefs. Nein, sagt auch der Berliner Andreas Schulze: „Ein Stück Altruismus gehört schon dazu. Wer sich zur Bundespolitik berufen fühlt, der muss sein Mandat abgeben.“