Drastisch enttäuscht

■ Welcher Schrecken kommt als nächster? Takashi Miikes Thriller „Audition“

Die ersten Nachrichten hatten etwas vom Skandal. Von den Besuchern der ersten Festivalscreenings, die während des letzten Drittels von Audition das Kino verlassen haben sollen, mögen einige rechtschaffen über die vermeintliche Heimtücke von Regisseur Takashi Miike verärgert gewesen sein. Hereingefallen sind sie indes auf die eigenen Erwartungen. Denn Miike löst ein, was regelmäßig als besondere Qualität von Filmen (und deren Machern) behauptet wird: das drastische Enttäuschen einladend inszenierter Angebote, nach welchen Konventionen eine Geschichte verlaufen möge. Dass Audition, im weitesten Sinne ein Thriller, das auf nicht eben subtile Weise tut, sondern in einer Plastizität, die mit „schonungslos“ noch nicht zu fassen ist, ist ein weiterer Grund, sich den Film anzusehen. Das Immergleiche kriegen wir schon überall sonst geboten.

Alles beginnt unspektakulär in schönen Farben und gemächlichem Tempo. Wir lernen den verwitweten TV-Produzenten Shigeharu Aoyama kennen, dem sein halbwüchsiger Sohn attestiert, er sehe müde aus. Gegen das Altern und für die Wiederherstellung normaler Kleinfamilienstruktur soll eine neue Frau her. Zur Brautschau dient ein fingiertes Vorsprechen für die weibliche Hauptrolle in einer Filmproduktion, das ein Freund anberaumt. Der etwas unbeholfene Witwer Aoyama ist dabei so sympathisch, dass man ihm diese befremdliche Vorgehensweise ohne weiteres verzeihen möchte. Durch eine Lappalie, den Einbruch des Realen in Form verschütteten Tees, stößt Aoyama auf die Bewerbung der einstigen Ballettänzerin Asami Yamasaki. Er trifft sie, und schnell ist klar, dass seine Wahl wohl auf sie fallen wird. Shigeharu ist hingerissen von einer leichten Geheimnishaftigkeit, die sie umgibt, und lässt sich auch nicht beirren, als sich die Angaben, die sie über ihre Vergangenheit gemacht hat, als unwahr herausstellen; er wird seine Wahl gründlich bereuen.

So wenig Audition anfangs eine Liebesgeschichte erzählt, so wenig ist der zweite Teil ein investigatives Krimi-Format. Was Miike seinem Publikum präsentiert, mag gelesen werden als radikale (symbolische) Abrechnung mit patriarchalen Verhältnissen, als Selbstermächtigung der zum Objekt gemachten Asami. Audition verwendet dabei nicht nur das Repertoire des (pornographischen) Tortur- und Bondagefilms, sondern spottet auch noch des Mummenschanzes von Horror- und Splattergenres, die gegen das hier Gebotene lächerlich sind.

„Miike macht drei bis vier Filme im Jahr und bekommt jetzt endlich internationale Anerkennung“, schrieb der Daily Yomiuri, „da fragt man sich, welche Schrecken dieses enfant terrible uns als nächstes um die Ohren hauen wird“. Spätestens nach Audition traut man ihm so manches zu.

Alexander Diehl

Preview: Sonnabend, 22.30 Uhr; ab 25.1., 20.30 Uhr, 3001