Hier endet alle Schönheit

Der Eimer muss bleiben: Als selbstbewusstes Symbol einer vergehenden Hässlichkeit und einziges lebendiges Gebäude in einem Bezirk merkwürdiger Leere. Das sehen inzwischen sogar Investoren so

von JÖRG SUNDERMEIER

Wenn man vom Hackeschen Markt aus die Rosenthaler Straße entlang geht, kommt man auf die Torstraße. Die Torstraße ist bekanntlich jene Grenze, an der der Bezirk Mitte seinem neuen Nachbarbezirk Pankow seinen Hintern zeigt. Hier endet alle Schönheit und aller Luxus, nördlich der Torstraße beginnt die Zone des mittleren Mittelstands und der senatsgeförderten Off-Kultur. Südlich der Torstraße aber kämpfen noch immer Investoren gegen Schrottschweißer und Technokünstler.

Es ist eine Welt, die, obwohl sie seit gerade mal zehn Jahren existiert, merkwürdig alt ist. Der Konflikt, der hier ausgetragen wird (und der begleitet wird von dämlichem „Früher war alles besser“-Gejammer), ist Sache derjenigen, die seit Jahren „Projekte“ betreiben, hier eine Bar aufbauen und dort eine Galerie, und die noch immer glauben dürfen, dass ohne sie Mitte als Medienmythos gar nicht existieren würde.

Dieser Konflikt wird an der Kreuzung der Linienstraße mit der Rosenthaler Straße verkörpert. Rechts steht ein halbverwaister Automarkt und davor, genau an der Straßenecke, ein asiatischer Imbiss, der in seiner Einsamkeit an die vor fünf Jahren noch allerorten zu findenden Fressbuden gemahnt.

Ihm gegenüber steht die Kopierbar, ein Ort mit Legende, von dem allerdings niemand in meinem Bekanntenkreis weiß, was dort gegeben wird. Dahinter ein ehemaliger Friseurladen, in dem jetzt eine Galerie ist, von der man aber bislang auch nur gehört hat, dass in ihr das Fußballvideo der Hamburger Rockband Kante gedreht wurde. Dem gegenüber steht mächtig ein völlig verbauter Plattenbau, der nichts weiter sein wollte als Wohnort und Standort für langweilige Läden, in dem aber die Neue Gesellschaft für Literatur, das Label Kitty Yo und die Headquarter-Agentur residieren.

Nun tropft in dieser Ecke, bei aller Prominenz, die Zeit doch sehr zäh. Zum Beispiel gibt es hier auch noch eine ehemalige Bank, in der nichts passiert. Nicht einmal eine illegale Bar gab es dort. Keiner hat dort je versucht, was zu machen. Der ganze Raum steht einfach nur leer. Auch steht da jenes unfassbar graue Haus, das aussieht, als lebe niemand in ihm, und in dem ein Fahrradladen ist, der für alle ein Rätsel darstellt. Es gibt ihn seit vielleicht zehn Jahren, die Auslage bleibt nahezu unverändert, und geöffnet scheint er auch nie zu sein. Trotzdem hält sich dieses Geschäft an dieser Stelle. Manche vermuten in dieser Ecke Geheimnisse. Alte Frauen mit abgesägten Köpfen, Stasiakten, Nazigold.

Wahrscheinlich ist da aber wirklich nur nichts.

Dazwischen steht nun als ein einziges, sehr lebendiges Gebäude der Eimer, ein in seiner Unrenoviertheit inzwischen fast einmaliges Haus, das noch immer an vielen Abenden von hunderten von Leuten gestürmt wird, obwohl die Werbung für seine Veranstaltungen verhältnismäßig schlecht gestreut wird.

Der Eimer ist ein Haus, das anders als die schicke Tachelesruine nicht permanent und penetrant auf sich aufmerksam macht und sich in seinen Eigenanzeigen noch immer „I. M. Eimer“ nennt. Im Dezember sollte das Haus eigentlich geräumt werden, bis plötzlich in einer für das Neue Berlin völlig unwahrscheinlichen Wendung entschieden wurde, diesem kleinen Kulturzentrum weiterhin eine Zeit zu lassen. Ein besetztes Haus, das nicht geräumt wird, das aber auf seinen Status als besetztes Haus auch kaum aufmerksam macht und nicht versucht, immer und immer wieder Szenelorbeeren für seine bloße Existenz abzuholen.

Darüber hinaus hat der Eimer eine lustige Bühnenkonstruktion, nämlich die Bühne am tiefsten Punkt des Hauses. Dass er noch existiert, liegt offensichtlich daran, dass die Projektentwickler und Stadtplaner bei näherer Inspektion dieser Ecke gemerkt haben, dass ein einzelner schicker Neubau hier nichts ändern würde. Das Schild jedenfalls, auf dem ein Neubau auf dem Eimer-Gelände angekündigt wird, gilbt seit Jahren friedlich vor sich hin. Auch stehen als Mahnung für alle Investoren jene anderen Neubauten entlang der Torstraße da, die sich auch nach Jahren noch als völlige Fremdkörper ausnehmen und deren Anwesenheit von Anwohnern, Mietwilligen und Touristen wie auf geheime Absprache hin einfach ignoriert werden.

Wenn man also jetzt den Eimer abreißt, und an dieser Stelle und auf der offensichtlich zum Gelände gehörenden Freifläche irgendein Luxuswohn- und Geschäftshaus hinknallt, dann mag das Gebäude noch so glänzen und leuchten in der Nacht, es wird, das ist nicht schwer zu prophezeien, einfach nicht wahrgenommen, sondern im Gegenteil als Leerstelle behandelt werden. Das ist ein so zwingendes Argument dafür, dort nichts neu zu bauen, dass man meinen mag, auch der Klub der Investoren hätte ein Einsehen, dass hier einer der seltenen Fälle vorliegt, bei dem es gut ist, wie es ist.

Lasst den Eimer also schon aus stadtplanerischen Erwägungen stehen. Er hat eine Funktion dort. Für seine Party- und Konzertarbeit muss man ihn dann eh noch mal extra loben.