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„Eine neue Kultur des Weglassens“

Der Mega-Merger AOL-Time Warner ist perfekt. Die schöne neue Medienwelt tauscht Vielfalt gegen Verwertungsketten. Nach Ansicht des amerikanischen Medienforschers Robert McChesney bleibt der kritische Journalismus gleich mit auf der Strecke

taz: Mit AOL-Time Warner ensteht jetzt der mit Abstand größte Medienkonzern der Welt. Warum hat der Konzentrationsdruck in den letzten Jahren so zugenommen?

McChesney: Seit 1998 haben sich die Merger im Medienbereich mehr als verdreifacht. AOL-Time Warner sticht da nur durch die Größe beider Unternehmen und das lange Genehmigungsverfahren heraus. Die Logik aus wirtschaftlicher Sicht ist furchtbar einfach: Entweder du wirst immer größer oder selbst von jemand anderem geschluckt, der die Marktführerschaft anstrebt.

Könnte man nicht einfach sagen: So funktioniert der Markt nun einmal, und natürlich bleibt auch immer noch ein Stück Wettbewerb übrig?

Genau so wird jede Public-Relations-Abteilung dieser Firmen argumentieren, dafür werden sie schließlich bezahlt. Und natürlich ist das auch teilweise richtig: Etwas Wettbewerb wird es immer geben. Gerade im Medienbereich sind klassische Monopole so gut wie undenkbar. Aber die Medienindustrie entwickelt sich zusehends zum Oligopol, das heißt, einige wenige sehr große Unternehmen teilen den Markt unter sich auf. Versuchen Sie heute einmal, in den USA oder Deutschland, den attraktivsten TV-Märkten der Welt, einen neuen Fernsehsender zu gründen. Der Kapitalbedarf, der für den Marktzutritt benötigt wird, ist so immens, dass so etwas nicht einmal bereits bestehende große Unternehmen wagen, weil ihnen dieses Investment zunächst nur enorme Verluste garantiert.

Welche Auswirkungen hat das auf das Angebot für die Mediennutzer?

Wenn der Medienmarkt – wie zum Beispiel im deutschen Privatfernsehen – von Oligopolen oder sogar Duopolen wie Kirch und Bertelsmann beherrscht wird, ist das sehr negativ für die Öffentlichkeit. Denn Medieninhalte, der viel beschworene „content“ ist nun einmal etwas anderes als der „content“ in anderen Branchen.

Weil die Vielfalt des Angebots und damit die Auswahl zurückgeht und Senderfamilien mit ihren Verwertungsketten für immer einheitlichere Programme sorgen ...

Zum einen das. Was aber viel wesentlicher ist: Auch die Vielfalt bei den publizitischen Inhalten, unabhängigen Nachrichten, nicht massentauglichen Themen bricht ein. Doch genau diese Inhalte sind gewissermaßen die Luft, die unsere Gesellschaft, unsere Kultur am Leben erhält. Wir brauchen die Medien, um die moderne Welt zu verstehen und ihr einen Sinn zu geben. Wenn diese Inhalte nur von wenigen Institutionen kontrolliert und bestimmt werden, ist das für jede Demokratie abträglich. Erst recht, wenn es sich bei diesen Institutionen um auf Gewinnmaximierung fixierte Großkonzerne handelt, die letztlich niemandem verantwortlich sind – außer ihren Aktionären.

Und der Medienaufsicht: Der AOL-Time-Warner-Deal wurde nur mit Auflagen genehmigt, und Time Warner musste auf EMI verzichten.

Worüber sich jetzt Bertelsmann schrecklich freut. Denn das ist ja das Problem: Die Kartellbehörden verhindern vielleicht, dass der Marktführer die Nummer 2 oder 3 schluckt. Und Bertelsmann ist im Musikgeschäft eben nur an 4. oder 5. Stelle, das dürfte vieles einfacher machen. Angeblich sind die Verhandlungen mit EMI ja schon recht weit.

Sind solche Kontrollmaßnahmen Ihrer Meinung nach also bloße Augenwischerei?

So drastisch würde ich das nicht sagen. Aber die bestehenden Verfahren haben fundamentale Lücken. Konzentrationskontrolle auf nationaler Ebene zum Beispiel ist ohnehin schwach: Zum einen haben die Unternehmen meist großen politischen Einfluss. Außerdem hilft oft auch das alte Argument, man wäre ohne Zusammenschlüsse nicht mehr international marktfähig.

Auch eine Art Globalisierungsfalle ...

Ja. Nehmen Sie die Entscheidungen der EU-Kommission in den letzten Jahren. Fast nie ist ein Zusammenschluss komplett untersagt worden. Meist reichten bestimmte Auflagen, einzelne Tochterunternehmen zu verkaufen oder zum Beispiel im Onlinebereich bestimmte Garantien abzugeben, auch Inhalte der Mitbewerber anzubieten. Solche Auflagen bereiten den beteiligten Unternehmen keine wirklichen Schwierigkeiten. Bei AOL-Time Warner geht es immerhin um einen Gesamtumsatz von mehr als 40 Milliarden Dollar.

Ist da überhaupt noch eine Steigerung möglich?

Auch wenn jetzt allgemein der Fusionshype nachlässt: Ich denke, ja. Und nachdem jetzt AOL-Time Warner genehmigt wurde, Vivendi-Seagram grünes Licht bekam: Wie sollen die Kartellbehörden argumentieren, wenn eines Tages News Corp. die Kirch-Gruppe übernehmen möchte? Wenn man wie hier von Fall zu Fall entscheidet, wandert automatisch der Standard, der gerade noch erlaubt ist, automatisch immer weiter nach oben.

Könnte hier eine einheitliche, internationale Konzentrationspolitik für den Medienbereich weiterhelfen?

Ja und nein. Wenn nur eine einzige internationale Behörde für solche Entscheidungen zuständig wäre, müssten die Konzerne auch nur noch diese eine Institution bearbeiten, um ihren Willen zu bekommen. Es gibt also gute Gründe für mehrschichtige Verfahren.

Wie in den USA, wo sowohl die Wirtschaftsbehörde FTC als auch die Medienaufsicht FCC der AOL-Time-Warner-Fusion zustimmen mussten ...

Genau. Was allerdings nichts daran ändert, dass diese Verfahren fast ausschließlich nach rein wirtschaftlichen Kriterien geprüft werden. Die publizistische Dimension spielt – wenn überhaupt – eine bescheidene Nebenrolle. Wenn also eine internationale Instanz geschaffen würde, sollte die in jedem Fall bei der Unesco oder einer ähnlichen inhaltlich orientierten UNO-Behörde angeschlossen sein und auf keinen Fall bei der Welthandelsorganisation WTO.

Warum werden diese Entwicklungen nicht kritischer in der Öffentlichkeit diskutiert?

Solche Entscheidungen falleneher hinter verschlossener Tür –und das öffentliche Interesse ist leider viel zu gering: Die Berichterstattung über all dies findet doch ganz überwiegend im Wirtschaftsteil statt. Und da findet sich nichts vom investigativen Anspruch, der Journalismus eigentlich ausmacht.

Der Nachrichtensender CNN behauptet von sich, über seinen Mutterkonzern Time Warner genauso unvoreingenommen zu berichten wie über jedes andere Unternehmen ...

Um fair zu sein: CNN berichtet über Time Warner genauso unzulänglich wie über alles andere. Aber ernsthaft: Zu allen großen medienpolitischen Themen der letzten Zeit war in den kommerziellen Medien der USA – mit Ausnahme weniger Zeitungen wie der New York Times oder der Washington Post – kaum etwas zu finden.

Auch bei kommerziellen Medien arbeiten JournalistInnen, die sich professionellen Standards verpflichtet haben.

Natürlich. Doch die Medien, für die sie arbeiten, haben einen hohen Einfluss auf die wesentlichen Entscheidungsprozesse in unserer Gesellschaft, und der wird nun mehr und mehr in die Hände von internationalen Unternehmern gelegt, die letztlich niemandem verantwortlich sind – außer ihren Aufsichtsräten und Aktionären.

Wenn also eine kritische Berichterstattung den Interessen des Unternehmens zuwiderläuft, können Sie schon heute klar die Folgen absehen: Da wird dann auch nicht plötzlich krass schöngefärbt – das ist leicht zu durchschauen und unprofessionell. Vielmehr wird nur so viel wie irgend nötig berichtet, ganz nüchtern und – wie es scheint – sogar sehr seriös. Selbst bei der Berichterstattung über die Konkurrenz hält man sich zurück, schließlich will man dort ja auch keine kritischen Berichte über das eigene Unternehmen lesen. Das Ganze ist fast schon eine neue Kultur des Weglassens.

INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG

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