„Ich komme auch ohne ihn klar“

Langfristig wollen alle Männer zurück. Behaupten sie. Für viele jedoch ist der Aufenthalt im Ausland eine Befreiung aus der dörflichen Umklammerung

aus Niamey SANDRA VAN EDIG

Vor ihrem Haus bereitet Moumouna eine Soße aus Zwiebeln, Tomaten und Öl zu. Mit einem langen Holzlöffel rührt sie in dem Aluminiumtopf. Ein leichter Wind weht herüber und facht das Feuer unter dem Topf kräftig an. Das Essen ist fertig. Moumouna trägt die Soße zusammen mit dem „Pate“, dem Hirsekloß, ins Haus, denn dort wartet Besuch: Ein Verwandter ist aus Abidjan herübergekommen, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, um ihr Neuigkeiten von ihren Söhnen zu überbringen.

Moumouna lebt mit ihrer 17-jährigen Tochter in Guidan Gara im Nordwesten der Republik Niger. Verkarstete Hügel umgeben das Dorf. Kaum ein Baum bietet Schatten. In der Mittagshitze liegt der Ort wie ausgestorben da. Die meisten Bewohner sind am frühen Morgen zum Arbeiten auf die Felder gegangen.

Nur aus Moumounas Haus dringt lautes Stimmengewirr. Vier Frauen haben sich zu dem Besucher gesellt. Aufmerksam hören sie seinen Schilderungen aus dem Leben im fernen Abidjan zu. Er überbringt Grüße. Nein, einen Umschlag habe er nicht für sie, aber ihren Söhnen gehe es gut, tröstet er die Frauen.

„Manchmal schicken sie uns Geld, aber das ist sehr unsicher – du weißt ja nie, ob es wirklich ankommt“, sagt Moumouna. Seit sechs Jahren reisen ihre Söhne regelmäßig als Gastarbeiter in das Küstenland Elfenbeinküste. Der eine arbeitet als Taxifahrer, der andere verkauft Gemüse. „Sie kommen uns alle zwei Jahre für ein paar Monate besuchen. Bald ist es wieder so weit. Dann bringen sie Stoffe, Geschenke und manchmal auch Geld mit.“

Auch ihr Mann lebt nun schon seit fünf Jahren in Abidjan, sagt Moumouna. Er ist nie zurückgekommen: „Sie erzählen, er habe sich dort eine andere Frau genommen.“ Schon das ist Grund genug für Moumouna, ihrem Mann nicht zu folgen. „Wenn er will, kann er ja zurückkommen. Ich komme auch ohne ihn zurecht!“ Seit ihr Mann sie verlassen hat, um im Ausland zu arbeiten, hat sich in Moumounas Leben einiges verändert. Denn genau zu der Zeit begann die Arbeit eines Entwicklungsprojektes in Guidan Gara. Die Mitarbeiter des Projektes forderten Frauen und Männer auf, sich bei der Entwicklung ihres Dorfes und besonders im Kampf gegen die Wüstenbildung zu engagieren. Eine Frauengruppe wurde gegründet. Moumouna wurde Vorsitzende. Damit wurde sie zur Ansprechpartnerin für das Projekt.

Regelmäßig trifft sie sich mit den Projektmitarbeitern und vertritt ihre Gruppe auch auf größeren Meetings in der Region. „Wenn mein Mann im Dorf geblieben wäre, hätte er mich sicherlich nicht gehen lassen“, dessen ist sich Moumouna sicher. Sie gehört dem Volk der Haussa an. Und bei den Haussa ist die Rolle der Frau im Haus.

In manchen Haussa-Haushalten ist es den verheirateten Frauen sogar untersagt, überhaupt das Gehöft zu verlassen. „Es schickt sich traditionell für eine Frau nicht, öffentlich zu sprechen“, erklärt Aissata Bagnan, Vorsitzende einer nigrischen Nichtregierungsorganisation, die sich in Frauenprojekten engagiert. „Jahre-, man könnte fast sagen jahrzehntelang, haben wir versucht, die Frauen gezielt mit Projekten ins öffentliche Leben zu rücken. Dabei gab es besonders von der Seite der Männer viele Hürden zu überwinden.“

Wenn die Männer ins Ausland gehen, haben die Frauen mehr Handlungsspielraum. Automatisch übernehmen sie während dieser Zeit die Rolle des Familienoberhauptes. In dieser Hinsicht beschleunigt die Wanderarbeit eine soziale Entwicklung: „Wenn der Mann über viele Monate oder Jahre nicht im Haus ist, muss die Frau die Entscheidungen treffen“, stellt die Soziologin Marthe Doka fest, die seit längerem solche Prozesse im Niger beobachtet.

Besonders in Regionen, in denen Entwicklungsprojekte durchgeführt werden, kann man diese Veränderung beobachten. In den letzten Jahren bauen ausländische Projekte immer mehr auf die Zusammenarbeit mit Frauen, denn die sind das ganze Jahr lang da und ansprechbar. So beeinflussen in erster Linie Frauen die Entwicklung im Dorf.

Frauen im Niger gehen nur selten ins Ausland. „Die Mütter müssen der Kinder wegen im Dorf bleiben“, erklärt Moumouna. Gingen die jungen allein ins Ausland, würden sie ihren Ruf riskieren. Für die Männer dagegen ist die Migration eine Reifeprüfung. Wer etwas auf sich hält, arbeitet für ein paar Jahre als Gastarbeiter. Offiziellen Statistiken zufolge sind es jährlich 50.000 Nigrer, die ihr Land auf der Suche nach Arbeit verlassen. Aber die Dunkelziffer ist groß.

Die Männer gehen nach Elfenbeinküste oder Nigeria, um dort schnell zu Geld zu kommen. Im Gastland leben sie unter den einfachsten Bedingungen, wohnen mit anderen auf engem Raum zusammen und versuchen jeden Pfennig zu sparen, um sich bei ihrer Rückkehr zu verheiraten. Die Älteren wollen sich und ihrer Familie mit dem Gespartem im Dorf etwas aufbauen. Langfristig wollen sie alle in die Heimat zurück. Behaupten sie zumindest.

Die Wirklichkeit sieht oft anders aus, wie Roque Ajavon feststellt. Er arbeitet seit drei Jahren als Entwicklungshelfer für die deutsche Organisation Eirene in Niger und sagt: „Viele der jungen Männer können gar nicht mehr im Dorf leben, auch wenn das mal ihre Absicht war. Es ist ihnen zu eng geworden. Der regelmäßige Gang in die Großstädte der Nachbarländer ist für sie auch eine Befreiung aus der familiären und dörflichen Umklammerung.“ Schon deswegen nehmen die wenigsten Gastarbeiter ihre Ehefrauen mit ins Ausland.

Alhousseini Almoustapha fährt seit 15 Jahren regelmäßig an die Küste, um Geld zu verdienen. Seine Frau und seine Kinder lässt er im Dorf zurück: „Warum sollte ich meine Frau denn mit nach Abidjan nehmen?“, fragt er. „Hier ist sie viel besser aufgehoben, hier sind ihre Freundinnen und ihre Familie. Was sollte sie denn in Abidjan machen? Mit ihr zusammen müsste ich mir ein richtiges Zimmer mieten, und ich müsste ihr Stoffe, Töpfe und Geschirr kaufen. Was könnte ich denn da noch sparen?“ Seine Frau Ramatou nickt und stimmt zu. Sie habe Angst vor der Unsicherheit in der Großstadt, das möchte sie ihren Kindern nicht zumuten. Außerdem spreche sie ja nicht einmal Französisch. Was könne sie denn dann dort arbeiten. Da nimmt Ramatou lieber die Trennung von in der Regel zwei Jahren in Kauf.

Wenn er weg ist, schickt Alhousseini regelmäßig Geld über Lastwagenfahrer oder andere Gastarbeiter zu seiner Frau. „Das ist immer schnell verbraucht“, erzählt sie. „Sobald ein Umschlag ankommt, kommt die ganze Familie. Jeder will seinen Anteil abbekommen. Für uns bleibt dann nicht mehr viel. Da müssen wir schauen, dass wir den Garten gut bewirtschaften.“

Jeden Morgen geht Ramatou in der Früh in ihren Garten, hackt und jätet und beaufsichtigt den Tagelöhner, den sie angestellt hat, damit er ihr die Parzelle bewässert. Auch hat sie ein Auge auf die Kinder, die ihr helfen. Wenn sie am Nachmittag nach Hause kommt, gilt es den Haushalt in Ordnung zu bringen. Ihre Schwiegermutter kümmert sich derweil um die Kleinsten. Sie muss Wasser holen, kochen, auf den Markt gehen und immer ausreichend Essen im Haus haben. Denn häufig kommen unangemeldet Besucher ins Gehöft.

Die Soziologin Marthe Doka hat während ihrer Forschungsarbeit festgestellt, wie problemlos die Frauen in ihre Aufgabe hinein wachsen: „Interessanterweise konnte ich feststellen, dass sie diese Führungsrolle auch später, wenn der Mann wieder im Haus ist, nicht mehr aufgeben.“ In Filingue, einem Ort drei Stunden von der Hauptstadt Niamey entfernt, verlassen viele Männer ihre Familien nach der Ernte, um im Nachbarland Nigeria zu arbeiten. „Nach acht Monaten kommen die meisten für die Zeit der Feldbewirtschaftung zurück und bleiben bis zur Ernte. Genau diesen Rhythmus behalten die Eheleute auch später bei, wenn der Mann nicht mehr ins Ausland geht. Vier Monate lang kümmert er sich um die Ernährung der Familie und acht Monate lang seine Frau“, sagt Marthe Doka.

In Entwicklungshilfekreisen wird Arbeitsmigration in Afrika nach wie vor eher als negativ und entwicklungshemmend bewertet. Man denkt in erster Linie an Aids, zerstörte Familien und fehlende ländliche Entwicklung, an Armut. Aber das Beispiel der Frauen in Niger zeigt, dass sie auch Positives bewirken kann. Für Marthe Doka sind die gesellschaftlichen Veränderungen, die die Arbeitsmigration mit sich bringt, besonders in Bezug auf die Stellung der Frau noch nicht genau abzusehen. Sie sieht gesellschaftliche Umwälzungen für die nächste Generation. „Die regelmäßige Abwesenheit des Vaters unterminiert seine Stellung in der Familie. Schon jetzt haben die Kinder ein anderes Frauenbild als vorherige Generationen.“